funny girl
auch auf Azime Gevaş wartete, wenn sie sich in ihr Schicksal fügte. Und hier war auch ein Schatz verborgen, das musste sie zugeben. In der dampfigen Küche unter den vertrauten Aromen, die für sie immer mit ihrem Zuhause verbunden sein würden, schnitt Azime Dörraprikosen, zerstieß Walnüsse und spürte dabei eine ganz besondere Art von Frieden. Wie nie zuvor ging ihr auf, dass man, wenn man solche Gerüche, solche einfachen alten Rituale hinter sich ließ, auch einen bedeutenden Teil von sich selbst aufgab.
Mutter und Tochter arbeiteten schweigend, viele duftende Minuten lang, bis in Azime eine Frage aufstieg, wie der Schaum im Kochwasser.
»Bist du glücklich, Dayik?«
Sabite hob den Blick. »Glücklich? Was ist das für eine Frage? Das ist…« Aber etwas ließ Sabite zögern. Wie immer, wenn sie verlegen war, gingen ihre Augen seitwärts, suchten nach einem Fluchtweg, und dann spannten sich die Lippen dieses Bergmädchens erneut von unaufgelösten Widersprüchen. »Mit solchen Fragen hältst du das Unglück nicht auf. Du musst dein Schicksal annehmen. Dich damit abfinden, wer du bist. Woher du kommst. Du bist du.« Sie klopfte mit dem Löffel an den Topfrand, drei Glockentöne, fast wie eine Zeremonie. »Und du musst aufhören, Fragen zu stellen, Azime. Wir wissen nichts. Was wissen wir denn? Was? Nichts! Wir können nichts wissen. Und was heißt das? Je mehr wir nachdenken, desto mehr machen wir falsch. So einfach ist das.«
Für Sabite war es einfach, genauso einfach wie buchstabengetreu dem Rezept für ein siebeneinhalbtausend Jahre altes Gericht zu folgen.
Eine Stunde später schaltete Azime oben in ihrem Zimmer kurz ihr Handy ein und schaute nach, ob sie neue Nachrichten hatte. Vier von Deniz, aber sie konnte jetzt nicht ihre Voicemail abhören. Auch auf ihre Facebook-Seite ging sie nicht – wenn sie noch weitere Hass-Mails fand, würde sie überhaupt nicht mehr schlafen können. Sie betrachtete ihr Handy, dann öffnete sie die App für Sprachmemos, mit der sie zwei Wochen zuvor Ideen für mögliche Anfänge für Auftritte aufgenommen hatte. Sie berührte das Play-Icon und lauschte ihrer eigenen Stimme: Ich heiße Azime. Ich bin aus Green Lanes, London. Googeln Sie es, das gibt es wirklich. Meine Eltern stammen aus dem kurdischen Teil der Türkei. Jetzt sind sie keine Türken mehr. Sie leben in London, wie die meisten kurdischen Türken. In der Türkei… ist es gegen die Verfassung, wenn man sich so anzieht wie ich und bei einer Behörde arbeitet. Da ist es doch toll, in einem Land zu leben, wo eine Frau sich so altmodisch anziehen kann, wie sie will. Danke dafür. Das ist wahre Freiheit. Love and Peace.
Sie beendete die App, legte sich angezogen aufs Bett, starrte an die Decke und mühte sich sehr, keine Fragen zu stellen. Keine einzige. Love and Peace.
»Du sagst, wir sollen andere nicht vor den Kopf stoßen…aber was ist, wenn allein die Tatsache, dass ich da bin, dass ich auf der Bühne stehe, Anstoß erregt? Was, wenn ich selbst das Anstoßerregende bin?«
Nachdem Kirsten ihren Comedy-Kurs verabschiedet hatte, war sie zum Eingang gekommen, wo sie Azime mit bekümmerter Miene hatte stehen sehen.
»Selbst jetzt stoße ich die Leute doch schon vor den Kopf, oder?«
Azime hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Sie hatte einen verbissenen, starren, gehetzten Ausdruck. Kirsten ließ sich Zeit mit der Antwort auf diese Frage ihrer so unvermutet prominentesten Schülerin. Sie setzten sich zusammen in die erste Zuschauerreihe des leeren Saals.
»Redefreiheit gibt es nicht. Oder? Die existiert einfach nicht.«
»Nein. Hat es nie gegeben. Aber wir brauchen etwas, das wir uns als Ziel setzen.«
»Mein ganzes Leben lang hat meine Familie versucht zu verhindern, dass ich sage, was ich wirklich denke. Und jetzt hat sich anscheinend die ganze Welt mit ihr verbündet. Und wer bin ich denn, dass ich so viel Feindseligkeit verdiene? Ich bin niemand.«
»Was dich in diesem Augenblick interessant macht, macht dich auch zur Bedrohung.«
»Soll ich denn einfach in Zukunft meinen Mund halten?«
»Meinst du wirklich, das könntest du?«
Endlich erschien ein Lächeln auf Azimes Gesicht – die verkrampften Muskeln entspannten sich. »Nein.«
»Wenn du sagen kannst, was du denkst, ohne dass es dich in Gefahr bringt… ich finde, dann solltest du weitermachen. Weiterhin sagen, was du denkst. Du hast Talent, und du hast ja offensichtlich etwas zu sagen, das wir hören müssen – sonst bekämst du
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