funny girl
seine Rosen beiseite, verstreute sie ringsum im Gras und legte ihre eigenen an deren Stelle. Sprach ein kurzes Gebet. Dann kehrte sie zu ihrer Familie zurück, fürchtete sich sogar noch vor der Karte des Mannes in ihrer Tasche, als wäre sie radioaktiv und könnte ihr Schaden zufügen. Die Wahrheit? Von einem Lügner? Das war ein Witz. Sie würde die Karte in die erstbeste Mülltonne werfen.
Aristot klatschte zweimal in die Hände. »Komm jetzt. Genug. Lass uns zu den Lebenden zurückkehren.«
Der Rest des Tages verlief nach dem üblichen Muster. Aristot und Zeki, im neugekauften Festtagsstaat, machten sich zusammen mit Omar und Raza auf den Weg zum Gebet in ihrer Moschee, wo es nun schon seit vier Wochen aus den Lautsprechern getönt hatte: »Allahu akbar, Allahu akbar. La ilaha illallah. Allahu akbar, Allahu akbar. Wa lillahil hamd«, wozu die Männer ihre Hände zu den Ohren erhoben hatten. Sabite und ihre Töchter gingen inzwischen mit den anderen Frauen des Viertels zum Gemeindesaal, um das Festmahl vorzubereiten. Schon bald bogen sich die Tische unter den Köstlichkeiten – ketupat (Reis, in einem Geflecht aus Kokosblättern gegart), opor ayam (Hühnerfleisch in Kokosmilch), aşure und Dutzenden weiterer Gerichte. Willkommensgeschenke für die Gäste wurden zurechtgelegt: Süßigkeiten, Schokolade, türkischer Honig und Parfüm. Und als die Männer von der Moschee kamen, konnte das Fest beginnen. Die Musiker griffen zu ihren Instrumenten, in der Mitte des Saales wurde generationenübergreifend getanzt, Mobiltelefone wanderten von Hand zu Hand, wenn die Verbindung zu weit entfernt lebenden Verwandten hergestellt war. Beim Klang von Stimmen, die man wochen-, monate-, jahre-, ja jahrzehntelang nicht gehört hatte, kullerten die Tränen. Im Saal drängten sich die Bewohner des Viertels in ihren schönsten Gewändern, die Kinder und jungen Leute bekamen ihr Taschengeld zum Ende der Fastenzeit – auch Azime war noch nicht zu alt, um ein paar Pfund einzustecken – und küssten zum Dank den Älteren die rechte Hand und führten diese dann mit den Worten Bayramınız Mübarek Olsun an die jugendliche Stirn. In solch einer Stimmung wurde altes Unrecht vergeben, Geldgeschenke gingen an die Armen und an die Jungen.
Auch Banu war da, sie saß an einem Tisch ganz in der Ecke. Die Schwellung am linken Auge war, so gut es ging, mit Make-up verdeckt. Zwar war sie mit ihren Eltern gekommen, doch bald stand auch ihr Ehemann vor ihr, der, reumütig in Anzug und Krawatte, seinen Stuhl direkt neben ihren zog. Flankiert von seiner eigenen Familie, alles feierlich dreinblickende Gesichter, hielt er ihr den Ehering hin, den sie offensichtlich zu einem früheren Zeitpunkt von ihrem Finger gestreift hatte. Der zurückgewiesene Ring lag nun auf seiner großen offenen Handfläche, und sie betrachtete ihn, und dann sah sie sich um, blickte in all die Gesichter, die sie beobachteten, darunter auch das von Azime. Azime hielt den Atem an, so gespannt war sie, was Banu als Nächstes tun würde. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Banus Augen kehrten zu dem Ring zurück, dann sah sie wieder auf zu den Angehörigen, den eigenen und denen ihres Mannes, und dann nahm sie mit einem überraschend seligen Lächeln – geradezu erleichtert – den verlorenen Ehering und steckte ihn sich wieder an den Finger. Sofort drängten sich weitere Frauen hinzu, Mütter, Tanten, Großmütter, eine Woge kollektiven Wohlwollens, die selbst die äußersten Enden des Saales erfasste, ein universelles Verständnis für die unvermeidlichen Komplikationen der Liebe. Banu bekam Küsse auf die Wange gedrückt, und Azime beobachtete, wie ihr beschämter Ehemann sich der Gesellschaft der Männer zuwandte, die ihm auf die linke Schulter klopften, ihn aber auch packten und schüttelten und ihm klarmachten, dass er das, was er getan hatte, nie wieder tun durfte. Als sie ihm ein paar Tränen entlockt hatten, reichten sie ihm ein weißes Taschentuch, und damit wischte er sich die Augen, nickte, bekannte sich mit dieser Zeremonie dazu, dass er Unrecht getan hatte.
Azime war die Letzte, die vortrat, um Banu auf die Wange zu küssen. Banu warf ihr einen stillen, doch liebevollen »Ich weiß, du wirst mich niemals verstehen«-Blick zu.
»Ich hab dich lieb«, flüsterte Azime ihr ins Ohr.
»Ich dich auch.«
Azime konnte der Versuchung nicht widerstehen: »Hey! Ein Mann liegt schon seit Monaten halb im Koma; mal ist er bewusstlos, mal ist er wach, und trotzdem
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