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Furchtbar lieb

Furchtbar lieb

Titel: Furchtbar lieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen FitzGerald
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nicht an das erinnern, was er verloren hatte, und ihn damit geradewegs vom Treppenabsatz im dritten Stock von Halle B stoßen. Aber ich wollte auch nicht zu ruppig klingen, ihn an die Sinnlosigkeit des Lebens erinnern und ihn damit geradewegs vom Treppenabsatz im dritten Stock von Halle B stoßen.
    Hallo, Chas.
    Ich sitze gerade in der Uni-Cafeteria, draußen pisst es, und selbst meine Fritten mit Currysauce schmecken irgendwie fad. Ich vermisse Dich! Ich verstehe nicht, warum Du mir nicht zurückschreibst, also tu’s bitte, und bitte beantrage einen Besuch für mich. Ich möchte Dich fragen, was passiert ist und Dir erzählen, wie’s bei mir so läuft.
    Bitte ruf mich an. Ich bin abends meistens zuhause (mein Leben ist zurzeit sehr langweilig). Ich kann Dich jederzeit besuchen kommen, weil ich jetzt meinen gesamten Arbeitstag im Auto verbringe und nur manchmal anhalte, um Kinder zu stehlen. Für eine Stunde oder so kann ich mich leicht ausklinken.
    Ich habe 10 £ für eine Telefonkarte beigelegt. Bitte ruf an!
    Gib auf Dich acht, Chas.
    Krissie
    Nachdem ich einige Wochen lang ähnliche Briefe verschickt hatte, ging ich zu Plan B über. Das war ein teuflisch gerissener Plan, bei dem es unter anderem darum ging, das Sicherheitssystem des Gefängnisses auszuhebeln und den Bereich für offizielle Besucher zu infiltrieren. Prosaischer ausgedrückt: Ich wollte den Gefängnisbeamten sagen, das Chas’ Sozialarbeiterin gekommen sei, um ihn zu besuchen.
    Ich schwitzte wie ein Schwein, als ich an der Reihe war und mein Ausweis, meine Tasche und mein Daumenabdruck überprüft wurden. Dann ließ man mich hinein. Klar, die Wachen machten mir Angst, aber nicht so sehr wie die Mutanten im Wartebereich. Ein schneller Rundblick zeigte mir, dass das Örtchen Sandhill die Heimat einer ganz speziellen Menschensorte sein musste und dass das Gefängnis einfach eine Erweiterung ihres Reviers darstellte. Sie schienen alle dieselben Erwartungen zu hegen: Ihre Söhne würden irgendwann hier enden, und die Wachen würden mit ihnen reden, als wären sie ein Stück Scheiße. Schlechte Zahnhygiene und ein unnachahmlicher Soziolekt, mit dem Fremde in Furcht versetzt werden sollten, gehörten ebenfalls zu den charakteristischen Merkmalen.
    Schließlich wurden die Einheimischen in den Besucherbereich geführt, und ich wurde in den Bereich für offizielle Besucher geführt.
    »Charles Worthington, Gefängnisnr. 15986, Halle B, 3/36«, schrieb ich auf mein Antragsformular, denn gerissen wie ich war, hatte ich den Sicherheitsdienst ausgetrickst und Zugriff auf die Gefängnisdatenbank erlangt (ich hatte in der Verwaltung angerufen, und sie hatten mir die Daten genannt). Dann nahm ich meinen Platz in Raum 7 ein, einem Glaskasten mit einem Tisch und zwei Stühlen.
    Ich wartete eine Ewigkeit unter den Eckkameras im Befragungsraum, voller Sorge, dass man mir auf die Schliche käme. Ich war keine Sozialarbeiterin im Justizvollzug. Ich war beim Kinderschutz und hatte hier nichts zu suchen. Ich war ein Eindringling, und man würde mich ganz bestimmt erwischen. Dann würde man mich in der alten Hinrichtungszelle in Halle D hängen und in einem namenlosen Grab draußen hinter dem Gebäude bei den anderen verscharren.
    Jedes Mal, wenn jemand in einem roten oder grünen Polohemd von seinen Handschellen befreit wurde, fragte ich mich, ob es Chas sein könne. Ich hoffte bei Gott, dass er nicht in einem grünen Polohemd aufkreuzen würde, denn diese Hemden, das wusste ich, trugen nur die Monster in Halle D.
    Chas trug Rot, und obwohl er dünn und abgespannt aussah, brachte er es immer noch fertig, seine Kleidung mit einer gewissen Grandezza zu tragen. Vielleicht ein größeres rotes Polohemd als die anderen Typen, das von seiner muskulösen Brust weich nach unten fiel. Und obwohl seine Jeans von unmodisch gleichmäßiger Farbe waren, wirkten sie nicht so gerade geschnitten wie bei den anderen. Als er sah, dass ich es war, wollte er sich umdrehen und gehen, aber der uniformierte Rohling am Ende des Ganges stieß ihn in meine Richtung. Widerstrebend kam er näher und setzte sich. Sein Blick wanderte zu Boden und blieb dort haften.
    Ich raschelte mit meinen Papieren und fing mit der Scheinbefragung an.
    »Guten Tag, Chas, ich heiße Krissie Donald. Ich bin Sozialarbeiterin im Strafvollzug und wurde damit beauftragt, den Bericht über Ihren familiären Hintergrund zu vervollständigen. Zweck des Berichtes ist es, dem Bewährungsausschuss möglichst viele Informationen

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