Furchtbar lieb
Undich werde nie wieder ein so süßes, sündiges Schuldgefühl dabei verspüren. Wenn ich an diesen Jungen denke – er hieß Stewart –, dann denke ich an jemanden voll echter Hingabe.
Nachdem ich meinen Eltern erzählt hatte, dass ich nicht nur nicht wusste, was Vater O’Flaherty in seiner Predigt am letzten Sonntag gesagt hatte, sondern dass Vater O’Flaherty vermutlich mit seiner Haushälterin schlief, und dass ich nicht die Absicht hatte, jemals wieder in die Messe zu gehen, durchlief ich eine Art moralischer Revolution. Ich steckte das Schuldgefühl, das ich wegen Sex empfunden hatte, in eine Schachtel, wickelte sie ein und warf sie weg. Statt in die Messe zu gehen, wollte ich an den Sonntagen schöne Dinge tun. Fahrradfahren zum Beispiel oder Einkaufen. Außerdem vögelte ich so ziemlich mit jedem herum. Allerdings war ich immer sehr geschickt darin, niemanden zu nah an mich herankommen zu lassen. Ich hatte beschlossen, mir keine Sorgen darüber zu machen, ob ich respektiert wurde. Sex war Sex, das reichte völlig aus. Jeder Kerl, der glaubte, dass ein Mädchen anständig sein solle, war aus meiner Sicht sowieso eine chauvinistische Verschwendung von Lebensraum.
***
Als wir unser idyllisches Picknickplätzchen verließen und in Richtung Loch Lomond aufbrachen, fragte ich mich, ob meine moralische Revolution vielleicht ein Fehler gewesen sei, ob ich alles falsch gemacht hätte. Ich war eine alleinerziehende Mutter. Ich hatte keine längere Beziehung gehabt, seit ich mich mit neunzehn von Stewart getrennt hatte, ohne dass wir unsere Verbindung richtig vollzogen hatten. Ich war so einsam, wie man nur sein konnte. Wäre die Sache anders ausgegangen, wenn ich anständig geblieben wäre?
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Kapitel zwölf
Sarah hatte schon lange gewusst, dass sie und Kyle mal rausmussten, auch wenn ihre Vorstellung von »mal rauskommen« eher etwas mit einem Rundum-Sorglos-Paket in einer Fünfsterne-Ferienresidenz zwischen Hunderten ähnlich gekleideten Leuten zu tun hatte. Ihre liebste Urlaubserinnerung war Dubai, wo sie und Kyle eine eigene Abteilung im Swimmingpool bekommen hatten. Dort hatten sie den ganzen Tag faulenzen können, und ihr blieb abends jede Meng Zeit, um sich aufzubrezeln und eine falsche Bräune zuzulegen. Die Gefahr, dass ihr dabei ein Fingernagel abbrach, ging gegen null.
Sarahs Therapeutin hatte vorgeschlagen, dass sie Kyle ein bisschen mehr Kontrolle übernehmen lassen solle, aber als Kyle ihr gesagt hatte, er habe einen Wanderausflug in Schottland organisiert, hätte sie ihn am liebsten erwürgt. Sie war nicht besonders sportlich. Den größten Teil ihrer Kindheit hatte sie damit verbracht, sich Entschuldigungen für den Sportunterricht auszudenken. Sie hatte noch nie in ihrem Leben gezeltet, und so sorgte sie sich viele Nächte vor dem Aufbruch über die Logistik ihrer Körperhygiene. Normalerweise packte sie zwei Koffer für einen Urlaub, egal, wie lange er dauerte, aber Kyle hatte ihren Haarglätter, ihre elektrische Zahnbürste, die Reinigungslotion, das Gesichtswasser, die Nachtfeuchtigkeitscreme und die Tagesfeuchtigkeitscreme von Clarins konfisziert. Er hatte ihr Gepäck auf einen einzigen Rucksack reduziert.
Aber als sie im Sonnenschein durch die malerischen Dörfer südlich des Loch Lomond wanderten, dachte sie, dass dies vielleicht genau der richtige Urlaub für sie sei. Als Kyle und Krissie über ihre alten Freunde lachten, kam sie zu dem Schluss, dassdem so sei. Nach allem, was sie durchgemacht hatten, waren die frische Luft, die körperliche Bewegung und die Schönheit ihrer Umgebung genau das, was sie brauchten. An diesem ersten Tag stellte Sarah überrascht fest, dass sie glücklich war, und sie lief sieben Stunden lang ohne ein einziges Stoßgebet.
Im Gegensatz zu Krissie hatte Sarah ihr Gottvertrauen nicht verloren. Sie ging jeden Sonntag in die Messe und betete dafür, dass etwas geschähe oder sich änderte oder besserte. Dann entschuldigte sie sich für alles, was sie dazu beigetragen haben könnte, dass etwas nicht geschähe oder sich änderte oder besserte. Sie glaubte wirklich, dass Maria eine Jungfrau sei, und dass Gott und Jesus einen ominösen Verwandten namens Heiliger Geist hätten. Und sie glaubte, dass alles gut werden würde, wenn sie nur ausreichend betete. All ihre Wünsche würden wahr werden.
Jeden Sonntag nach der Messe ging Sarah in positiver und aufgehellter Stimmung zu Kyle nach Hause. Sie war Teil von etwas Großem und Großartigem, und dieses Große
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