Furchtbar lieb
bat ein erschöpft wirkender, schmollender Kyle Sarah, Brötchen für den Lunch zu machen. Das tat ich bereits, und so kam sie schmollend zu mir und setzte sich neben mich.
***
Der Himmel war leicht bedeckt, als wir unsere Wanderung entlang des Loch Lomond begannen. Auch heute würden wir eine große Strecke zurücklegen müssen – über zwanzig Meilen –, und deshalb mussten wir ein hohes Tempo anschlagen. Wir fingen ganz gut an – erst ich, dann Kyle, dann Sarah hinterdrein. Aber nach ungefähr zwei Stunden hielt Sarah an, um ihr Gepäck neu zu sortieren, und um zwölf Uhr hatte sie nicht nur unser ganzes Wasser ausgetrunken, sondern sich auch angewöhnt, alle zwanzig Minuten eine Rast einzulegen.
Wir saßen am Ufer und aßen unsere Schinkenbrötchen, und bei Gott, ich hätte töten können für einen Schluck Wasser, aber wie gesagt: Sarah hatte alles ausgetrunken. Also tauchte ich meinen Kopf in den mückenumschwärmten See und nahm einen Mundvoll von dem beunruhigend stillen Wasser.
Ich denke, dass es Besorgnis war, die ich damals beim Lunch empfand. Mein Herz pumpte ein bisschen zu schnell, und mein ganzer Körper fühlte sich an, als wäre ich nach einer durchzechten Nacht und nur drei Stunden Schlaf aufgewacht. Was nicht wirklich überraschend war, denn genau so war es gewesen. Ich war benommen, die Augen taten mir weh,in meinem Körper zirkulierte zu viel Adrenalin, und mein Blutzuckerspiegel war außer Rand und Band. Als ich Sarah ansah, während sie das Brötchen aß, das ich ihr gemacht hatte, hätte ich sie am liebsten angeschrien: »Ich hasse es, wie deine Kiefer beim Essen malmen!« In diesem Moment fing ich Kyles Blick auf, und ich hätte schwören können, dass er genau dasselbe dachte.
»Woran denkst du gerade?«, fragte Sarah, immer noch kauend.
»An nichts, Liebes. Ich bin bloß müde!«, sagte ich und wünschte, sie würde nicht mit vollem Mund sprechen.
Drei ist nie eine gute Zahl. Immer wenn jemand mit Sarah und mir spielen wollte, klappte es nicht. Marie Johnston spielte eine Zeit lang in der Schule mit uns, aber sie besuchte Sarah nur ein einziges Mal zu Hause, und die Sache ging nicht gut aus. Anscheinend kam es zwischen beiden Elternpaaren zu einem großen Streit. Marie war am nächsten Tag nicht in der Schule, und als sie eine Woche später wiederkam, sagte sie, dass sie nicht mehr mit uns spielen wolle.
Nach der Mittagspause – wir krochen praktisch den Pfad am See entlang – ging mir Sarahs Gejammer zunehmend auf die Nerven. Außerdem fühlte ich ein eindeutiges Verlangen, mit Nummer drei zu spielen. So kam es, dass ich nach fünf Meilen aufhörte, jedesmal stehenzubleiben, wenn Sarah stehenblieb. Und nach zehn Meilen hört Kyle auf, jedesmal stehenzubleiben, wenn Sarah stehenblieb. Und nach fünfzehn Meilen hörten wir auf, dauernd Pausen einzulegen, damit Sarah aufholen konnte, und wir hörten auf, sie zu fragen, ob es ihren Füßen schon etwas besser gehe. Stattdessen gingen wir gemeinsam voran: schnell, fast laufend, angeregt von der Energie des anderen. Wir lachten hochgestimmt, schoben uns durch Zweige und erklommen Fuß um Fuß die Felskämme.
Es war, als ob Endorphine durch meine Venen tosten. Als wir in Iverarnan ankamen, fühlte ich mich, als würde ich fliegen. Vor dem alten Pub klatschten Kyle und ich uns ab. Dann setzten wir uns bei einem kalten Bier hin und bekamen einzunehmend schlechtes Gewissen, weil wir Sarah so schlecht behandelt hatten. Schließlich war sie nicht so fit wie wir.
Reumütig buchten wir zwei Zimmer in dem schrulligen alten Pub, als besonderes Vergnügen für Sarah. Heute war ihr Hochzeitstag, und Kyle hatte das bis jetzt völlig vergessen.
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Kapitel sechzehn
Der Tag am Loch Lomond war qualvoll für Sarah. Ihre Füße hatten an beiden Ballen und Fersen Blasen bekommen. Während der ersten zehn Meilen war sie oft stehengeblieben und hatte neue Pflaster auf die vier Druckpunkte geklebt, aber dann gingen ihr die Pflaster aus, und ihre Füße waren von dem ganzen Blut so rutschig, dass die alten Pflaster nicht mehr hielten, also blieb sie nur noch stehen, um den Schaden zu begutachten. Krissie und Kyle waren jetzt schon weit vorausgegangen, und es war ihr zu peinlich, zwei deutsche Wanderer zu bitten, ihnen Bescheid zu sagen. Warum ihre Füße? Warum mussten von sechs möglichen Füßen ausgerechnet ihre beiden diejenigen sein, die mit diesem endlosen Wanderweg voller Äste nicht zurechtkamen?
Während sie über Äste kraxelte und
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