Furchtbar lieb
für immer nach Frankreich ziehen würde (samt nettem dreißigjährigemNachbarn namens Jean-Luc, der ihr erst körbeweise Auberginen und dann mehrere Babys schenken würde).
All das würde jetzt nicht mehr passieren, und das war enttäuschend.
Sarahs Therapeutin hatte ihr diese Art des Denkens erklärt, die typisch für sie war. Wenn Kyle spät von der Arbeit kam, steigerte sie sich in ihre Sorgen hinein und stellte sich vor, dass er tot am Straßenrand oder ermordet in einer Tiefgarage läge. Frau Therapeutin hatte gesagt, dass solche Vorstellungen nicht auf Sorge beruhten, sondern auf Wut. Wenn Kyle sich verspätete, dann fühlte es sich besser für sie an, sich vorzustellen, dass ihm jemand die Kehle durchtrennt hatte oder dass ihn ein entflohener Sträfling vergewaltigt hatte, bis ihm der Anus eingerissen war. Es war Wut, und es war nicht gesund – erinnern Sie sich an die Techniken?
Also ging Sarah wieder hinab in die Stube. Sie zählte bis zehn und atmete eine gefühlte Ewigkeit tief ein und aus.
Gerade als Sarahs Herzfrequenz sich wieder beruhigt hatte, kamen Krissie und Kyle kichernd und verdreckt ins Foyer. Sobald sie Sarah sahen, verwandelte sich ihr sorgloser Gesichtsausdruck. Sie sahen nun aus wie ungezogene Schulkinder.
»Sarah!«, sagte Kyle.
»Matt läuft da draußen herum! Glaubst du, dass er ein Serienmörder ist?«, fragte Krissie. »Er hat dieselben Sachen an – immer noch diese Khaki-Shorts –, und seine Hände sind riesig!«
»Guck mal, was wir gefunden haben!«, sagte Kyle.
Sie zeigten ihr einen Beutel voller schmutziger Pilze.
»Lasst es uns tun!«, sagte Kyle.
»Was?«, fragte Sarah, als sie den Beutel von Krissie entgegennahm, um einen Blick hineinzuwerfen.
»Berauschende Pilze! Sie wachsen überall!«
Es folgte ein Streit, der sich wie folgt zusammenfassen lässt:
Sarah: »Wie alt bist du eigentlich?«
Kyle: Rollt die Augen.
Krissie: Wirft Kyle ein wissendes Lächeln zu.
Sarah: Bemerkt den Blickwechsel, schleudert Kyle denBeutel mit Pilzen entgegen und schreit: »Zur Hölle mit euch Arschlöchern.« Dann stakst sie die Treppe hoch.
Als sie kochend vor Wut im Bett lag, analysierte Sarah ihre scharfe Replik auf die ihr eigene, peinlich bemühte Art. »Zur Hölle« brachte nicht annähernd das Ausmaß und die Komplexität ihrer Beschwerde zum Ausdruck. Sie konnte gar nicht begreifen, dass das alles gewesen war, was sie gesagt hatte. Ebenso wenig konnte sie begreifen, dass niemand ihr nach oben gefolgt war, um sie um Verzeihung zu bitten. Es war, als ob sie nicht existieren würde. Wenn die Dinge sich morgen nicht entscheidend besserten, dann würde sie gehen. Würde gehen und diesen dämlichen Urlaub beenden. Würde Kyle verlassen und Schottland. Würde vielleicht – so dachte sie, wie sie es manchmal tat – sogar diese Welt verlassen.
Sie war so müde vom Weinen, dass sie einschlief und nicht hörte, wie Kyle hereinkam. Sie erwachte jedoch kurz darauf mit einem ungewohnten, wundervollen Gefühl. Nach einem Augenblick halbwacher Seligkeit wurde ihr bewusst, dass Kyle sie dort leckte, wo er sie niemals zuvor geleckt hatte. Sie war entsetzt über das, was er tat, und schlug ihm auf den Kopf.
»Igitt. Was machst du da? Was stimmt nicht mit dir? Hast du diese Pilze gegessen?«
»Nein!« Kyle tauchte auf und rieb sich den Schädel. »Ich dachte nur, ich mach mal was anderes.«
»Du dachtest, du ›machst mal was anderes‹! Herr im Himmel, Kyle, du ignorierst mich während unserer gesamten Hochzeitsnacht und dann – igitt! Geh dir die Zähne putzen!«
Kyle tat, wie ihm geheißen. Dann schlief er ein.
***
Während des Frühstücks am nächsten Morgen kicherten Krissie und Kyle wie blöd, weil der pedantische Gastwirt all den Nippes auf Regalen und Simsen und Kaminen und Fensterbänken neu ordnete.
Warum lachten sie? fragte sich Sarah. Lachten sie sie aus?Welche kleinen Geheimnisse teilten sie miteinander? Was war so verdammt komisch an dem Nippes auf den Fensterbänken?
So gerne sie laut geschrien hätte, aß Sarah doch ruhig weiter. Sie gab der ganzen Geschichte noch einen Tag. Sie würde vernünftig und logisch sein, und sie würde versuchen, den Urlaub zu retten.
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Kapitel siebzehn
Dass ich mich in Kyle am Abend seines Hochzeitstages verliebte, machte die Sache nicht besser. Ich glaube nicht, dass ich vorher jemals richtig verliebt gewesen bin. Jedenfalls hatte ich noch nie das körperliche Unwohlsein gespürt, das damit verbunden ist. Es fühlte sich
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