Furchtbar lieb
Papa?«
Dave schüttelte den Kopf. »Der ist nicht da. Eine lange Geschichte. Krissie ist in ein paar Tagen zurück. Hier ist ihre Nummer … Sie wohnt immer noch in der Gardner Street. Aber komm doch rein, bis Anna da ist. Sie wird traurig sein, wenn sie dich verpasst. Und du bist herzlich eingeladen, bei uns zu wohnen, bis du wieder auf eigenen Beinen stehst.«
»Danke, aber meine Eltern haben meine alte Decke mit dem Vereinswappen der Hibs schon gebügelt!«
Doch ehe Chas sich auf den Weg zu seinen Eltern machen konnte, traf Krissies Mutter ein. Sie ließ ihre Einkaufstüten an der Zauntür fallen, als sie sah, wer vor der Tür stand. »Chas!«, sagte sie und lief los, um ihn zu umarmen.
Anna hatte früher immer Fresspakete in die WG von Krissie, Chas und Kyle gebracht – fantastische Buletten und Kuchen und manchmal sogar eine Flasche Wein. Chas liebte sie. Anna schien immer den richtigen Ton zu treffen, wenn es ihm nicht so gut ging. Sie verströmte gute Laune, hatte ein wunderbar apartes Gesicht, und sie war Amateurphilosophin. Nichts tat sie lieber, als im Erker am Fenster zu sitzen, Kaffee zu trinken und Betrachtungen anzustellen, die in etwa wie folgt lauteten: »Weißt du, Chas, ich glaube, dass es nur eine begrenzte MengeGlück für jeden Menschen gibt. Vielleicht ein halbes Glas, mehr darf man nicht erwarten. Was also soll man tun? Daran nippen oder es in einem Zug hinunterstürzen?«
Als Chas Krissies Mutter kennenlernte, wusste er, dass Krissie mit den Jahren nur besser werden würde. Sie war wie ein guter Cabernet, der im Lauf der Zeit immer weicher und geschmeidiger wird.
»Komm mit rein«, beharrte Anna. Sie nahm ihn beim Arm und ließ ihm keine Gelegenheit, Einwände zu erheben. Während Anna den Tee einschenkte, stand Chas neben der Küchenbank und bestaunte die Abnormalität des Normalen. Allein der Akt, acht Vanillekekse auf einen Teller zu legen, erschien ihm surreal.
»Es ist schwer zu erklären«, sagte er, als Anna ihn fragte, wie es ihm ergangen sei. »Es ist, als würde man vier Jahre mit betrunkenen Fußballfans in einem Flugzeug verbringen … bei der Aeroflot!«
Dave gab Robbie etwas Schmerzsirup und schaukelte ihn auf seinen Armen in den Schlaf.
Chas fühlte sich hier wohler als an jedem anderen Ort der Welt. Ganz gewiss fühlte er sich wohler als im Haus seiner Eltern mit den unpersönlichen antiken Möbeln und den – abgesehen von seiner Hibs-Decke – stilvoll eingerichteten Schlafzimmern. Dies war die Art von Zuhause, die Chas sich immer gewünscht hatte.
Manchmal traten Pausen in ihrem Gespräch ein, wenn sie schwierige Themen umschifften – keiner wollte über Körperverletzungen oder postnatale Depressionen sprechen. Aber es waren Pausen, wie sie in Familien vorkommen: nicht angenehm, aber auch nicht unangenehm. Die Art von Pausen, bei denen jeder weiß, was es zu wissen gibt.
Als Chas sich verabschiedete, umarmte Anna ihn fest. In ihren Augen schimmerte es feucht, als Chas lächelte und ging.
Während er an den Reihenhäusern entlangspazierte, kam es Chas vor, als würde er vor Glück fliegen. Sie war nicht verheiratet. Sie war allein. Und er würde sie finden.
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Kapitel neunzehn
Im Sainsbury-Lieferwagen plauderte Sarah fröhlich mit ihrem Schrotflintenmörder. Es war schon eine ganze Weile her, seit sie ihre alte Wirkung auf Männer ausgeübt hatte, und es war unverkennbar, dass genau das jetzt geschah. Sie war immer noch blond, hatte immer noch große Titten und weiße Zähne, und sie konnte immer noch ihre Augenbrauen flattern lassen und mädchenhaft kichern.
Paul war um die vierzig, und es stellte sich heraus, dass er der Geschäftsführer aller Sainsbury-Filialen in den Highlands war. Von Zeit zu Zeit, so erklärte er ihr, verbrachte er einen Tag seines Leben so wie einer seiner Angestellten, damit er die Verbindung zu ihnen nicht verlor. Er lebte auf einem Schloss in der Nähe von Perth und verbrachte die Abende mit Champagnertrinken und die Wochenenden mit Reiten und damit, dass er Spaß mit den Kindern hatte.
Sarah hatte sofort das Gefühl, Paul vertrauen zu können. Er hatte etwas Besonderes an sich, etwas, das ihr wirkliches Ich sah und verstand, und es war ungemein befreiend, wie er ihr zuhörte und sie respektierte.
»Und Sie?«, fragte er Sarah. »Wie leben Sie so?«
Ehe Sarah wusste, wie ihr geschah, weinte sie. Ihr Leben lief scheiße. Sie war einsam, und ihre Ehe stand kurz vor der Scheidung. Ihr Mann zog ganz klar die Gesellschaft
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