Furchtbar lieb
überfluteten.
»Einer von uns wird als Erster sterben, und der andere muss dann zu seinem Begräbnis gehen.«
»Sarah ist der schönste, freigiebigste Mensch, den ich jemals kennengelernt habe. Sie passt auf mich auf. Passt. Auf mich. Auf.«
»Arzt zu sein ist ätzend.«
»Ich liebe dich, Kyle.«
»Ich liebe dich, Krissie.«
»Die Wolke da sieht wie eine Giraffe aus.«
»Komm, wir laufen ihr hinterher.«
Und so redeten Kyle und ich eine Stunde lang absoluten Scheiß, hielten von Zeit zu Zeit inne, um zu weinen oder zu lachen, und torkelten schließlich gegen elf Uhr abends auf den Zeltplatz. Ich werde niemals erfahren, wie wir den Weg dahin gefunden haben.
Natürlich war ich viel zu zugedröhnt, um mein Zelt aufzubauen, und so krochen wir gemeinsam zu Sarah, die wie ein Stein schlief.
Wir schliefen sofort ein.
Als ich aufwachte, hatte ich keine Vorstellung davon, wo ich war oder auch nur, wer ich war. Als meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich Kyle, der neben mir lag, auf der anderen Seite Sarah. Sein Gesicht war unheimlich hübsch, und ich hätte vor lauter Liebe am liebsten geweint. Und ehe ich wusste, wie mir geschah, überwältigte mich ein verzweifeltes Verlangen. Ich musste ihn in meinem Mund haben.
Ich ließ mir keine Zeit zum Nachdenken. Langsam kroch ich unter seinen Schlafsack und küsste ihn.
Früher hatte ich oft von Fellatio geträumt. Immer waren die Schwänze so dünn wie Bleistifte gewesen, und mindestens zweimal hatten sie sich in meinem Mund in Scheiße verwandelt, so dass ich mit trockenem Würgen aufwachte. Eine Zeit lang hatte ich vermutet, diese Träume würden darauf hinweisen, dass ich lesbisch sei. Aber immer, wenn ich mir ausmalte, mit einer Frau zusammen zu sein, hatte ich Probleme, mir die Abläufe vorzustellen. Folglich kam ich zu dem Schluss, dass die Träume vielleicht einfach bedeuteten, dass ich Männern nicht gern einen blies.
Nichts hätte in dieser Nacht weiter von der Wahrheit entfernt sein können. Ich hätte mein ganzes Leben da unten verbringen können. Und ich werde niemals den besten Teil an der ganzen Sache vergessen. Der beste Teil kam, als Kyle mit leisem Stöhnen aufwachte, den Schlafsack hochhob und heruntersah. Für den Bruchteil einer Sekunde verschränkten sich unsere Blicke, ehe er zuckend einen Orgasmus hatte.
Danach lagen Kyle und ich in dem Zelt und starrten uns die ganze Nacht lang hellwach an. Wir hatten uns ineinander verliebt – heftig und leidenschaftlich ineinander verliebt.
***
Am nächsten Morgen kochten wir Bohnen auf dem Gaskocher, und in mir tobte ein Kampf. Als Kind hatte ich meine inneren Streithähne »Schwätzer« genannt. Sie hatten ungefähr folgendermaßen argumentiert:
Klau den Schokoriegel nicht, das ist nicht richtig.
Aber ich will ihn haben.
Aber es ist nicht richtig.
Aber es ist ein Curly Wurly.
Du wirst in die Hölle kommen! Nimm ihn nicht! Es ist nicht richtig!
Es ist bloß Schokolade. Es ist nur ein Curly Wurly.
Und jetzt waren sie wieder da, meine Schwätzer, und quasselten drauflos.
Es ist falsch.
Es ist Schicksal.
Es ist böse.
Es ist Liebe.
Sarah zu meiner Linken, Kyle zu meiner Rechten.
Schuld. Verlangen.
Es war, als ob meine geballten Fäuste in einen Kampf miteinander verstrickt wären. Als ob sie sich vor meinen Augen miteinander prügeln würden. Und während sie aufeinander eindroschen, konnte ich weder gebackene Bohnen essen noch Kaffee trinken. Ich war völlig außer Gefecht gesetzt, und das machte mich wütend, denn in einem Kampf wie diesem steht eines fest: Das Schuldgefühl muss siegen. Es dauert vielleicht eine Weile, und es kann sein, dass es sich ein bisschen dreht und windet. Ehe das Schuldgefühl siegt, ist die Hölle los.
Und das machte mich wütend.
Meine Art, damit umzugehen, bestand darin, dass ich im Tempo meiner Schwätzer wanderte:
Die Ehe ist sowieso am Ende.
Ich werde es ihr nicht sagen.
Ich gehe nach Hause. Ich muss nach Hause gehen.
Wie konnte ich so etwas tun?
Es war doch nur ein Kuss.
Was kann ein Kuss schon …
Sarah versteht ihn nicht. Ihre Ehe ist seit Jahren am Ende.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte Sarah.
»Klar doch, alles prima … Aber ich will heute Nacht auf keinen Fall im Zelt schlafen, und ich muss dringend baden.«
***
Wir erreichten das Kingshouse Hotel in der Nähe von Glencoe nachmittags um vier. Es war ein kürzerer Tag, und Sarahs Füßen schien es gut zu gehen. Ich entschloss mich, die Sache mit Kyle zu
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