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Furchtbar lieb

Furchtbar lieb

Titel: Furchtbar lieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen FitzGerald
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Dann öffnete ich sie langsam wieder. Ich war immer noch da, am Rand eines Abhanges, mit wundem Kopf und ohne Sarah.
    »Sarah?«
    Nichts.
    »Sarah!«
    Ich wirbelte herum, um zu sehen, ob sie hinter mir wäre und sich bereithielt, weiter mit ihren Eichhörnchenfäusten auf mich einzudreschen, oder ob sie sich im Schatten eines benachbarten Felsblocks versteckt hielt und abwartete. Ich kroch im Finstern auf dem Gipfel des Berges herum und durchkämmte die gesamte Umgebung, aber sie war nirgendwo zu sehen.
    Ich fürchtete immer noch, dass sie plötzlich über mich herfallen könne. Wieder schrie ich: »SARAH! ES TUT MIR LEID, BITTE KOMM HERAUS. BITTE! ES TUT MIR SO LEID!«
    Sie antwortete nicht, und langsam geriet ich in Panik. Ich bekreuzigte mich, dass ich ihr, bitte-bitte lieber Gott, keinen Schaden zugefügt hatte. Ich krabbelte herum und suchte sie im Gebüsch, und ich hoffte, dass sie zu Kyle zurückgekehrt sei. Dann beugte ich mich über die Felskante und sah nach unten.
    Der Mond und die Sterne waren hell genug, um zu sehen, dass der Abhang praktisch vertikal nach unten fiel …
    … und dass ein Körper auf dem Grund davor lag.
    Da ich wusste, dass nicht genug Zeit war, um Hilfe zu holen, suchte ich den Abhang ab und fand eine Stelle, wo die Felskante so sanft abfiel, dass ich nach unten klettern konnte. Ich konzentrierte mich auf einen Schritt nach dem anderen und erreichte schließlich festen Boden. Dann rannte ich den Felssockel entlang auf den verdrehten Klumpen zu, den ich von oben gesehen hatte. Es kann sein, dass sie lebt, sagte ich mir. Es kann sein, dass es ihr einigermaßen gut geht.
    Aber so war es nicht. Als ich sie fand, lag sie mit dem Gesicht nach unten im Heidekraut. Ich drehte sie um, und dann schrie ich und schrie.
    Ihre Augen waren geschlossen, und ich wusste, dass sie tot war.
    Ich schrie erneut. Dann weinte ich und schüttelte sie und schlug sie. Dann sprang ich auf der Stelle auf und ab und weinte wieder, und dann saß ich zitternd da, das Gesicht in den Händen vergraben. Und als ich meine Hände wegnahm, sah ich, dass ihr Körper blutgetränkt war. Ich wurde ohnmächtig, und als ich wieder zu mir kam, lag sie immer noch leblos da.
    »O Gott. O Gott, Sarah, es tut mir leid. Was habe ich getan? Oh nein, mein Gott, es tut mir leid. Bitte, bitte, bitte, Hilfe! HILFE!«
    Etwas gesunder Menschenverstand musste zurückgekehrt sein, denn ich versuchte, die Notrufnummer zu wählen. Ich rannte Abhänge hinauf und hinab und lehnte mich über Abgründe, um eine Verbindung zu bekommen. Schließlich schaffte ich es. Als das Display aufleuchtete, sah ich ein Bild von Robbie. Ich hatte das Foto am selben Tag aufgenommen, als ich mit Marco gevögelt hatte. Es war Tag eins meiner Gute-Mutter-Strategie gewesen. Ich hatte mir vorgenommen, viel Zeit mit Robbie zu verbringen, mit ihm auf dem Wohnzimmerboden zu spielen, weiße Rauschebärte aus Badeschaum zu machen und ihm mit gescheiter Stimme Gutenachtgeschichten vorzulesen. Ich hatte beschlossen, eine selbstlose, zuverlässige Mutter zu sein. Als ich das Foto meines Jungen ansah, der in seinem Buggy am Ententeich vor sich hin döste, mit seinem kleinen Gesicht, wurde mir ganz flau. Er brauchte mich. Ich durfte die Polizei nicht rufen. Ich würde ihn verlieren.
    Es war fast, als ob ich einen Schalter umgelegt hätte, als mir diese Erkenntnis dämmerte und ich in den logischen Modus zurückkehrte. Was für Möglichkeiten hatte ich? Fortzulaufen und Sarahs Körper dort liegen zu lassen, wo er war? Sie irgendwo zu begraben? Zurückzugehen und es Kyle zu sagen, um zu sehen, was ich seiner Meinung nach tun sollte?
    Wieder schaute ich Robbies Gesicht an. Ich hatte keine Wahl. Ich musste sie verstecken.
    Ich erkannte, wie hoch und abgelegen die Stelle war, an der ich mich befand. Ich fühlte mich wie am Ende der Welt, umzingelt von kahlen, unwirtlichen Gipfeln. Ich ging zu SarahsLeichnam zurück und machte mich an den Abstieg. Es gab Höhlen und Felsspalten in dem Abhang, und sobald die Steigung etwas sanfter geworden war, begann ich nach einer passenden Öffnung zu suchen. Es dauerte eine Weile – die meisten waren zu groß, zu klein oder zu hoch –, aber schließlich fand ich eine, die genau richtig war. Sie befand sich etwa dreißig Meter von dem Teil des Bergrückens entfernt, an dem ich herabkletterte, und es war fast unmöglich, sie von unten zu sehen, geschweige denn von oben. Ihre Vorderseite war mit blaugrüner Heide bedeckt, und nur, wenn man das

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