Furchtbar lieb
Gestrüpp beiseiteschob, wurde die Öffnung sichtbar. Sie war perfekt.
Ich ging zu der Stelle, wo Sarah lag, strich über ihr Haar und begann zu weinen. Meine beste Freundin seit Kindheitstagen. Von mir ermordet.
Ich kraxelte wieder hoch zu der Stelle, wo ich meinen Rucksack zurückgelassen hatte. Ich holte das Zelt heraus, warf es hinab und erbleichte, als es auf Sarahs Leiche landete. Scheiße! (Jetzt nicht darüber nachdenken, befahl ich mir.)
Ich beeilte mich, wieder nach unten zu kommen. Mein Kopf hämmerte als Resultat einer Mischung aus Kater, Erschöpfung und Sarahs Schlägen. Ich legte das Zelt flach auf den Boden unter der Felsspalte. Die Zeltpflöcke nahm ich heraus und warf sie beiseite, dann schloss ich den Reißverschluss der Jacke, die Sarah über ihrem leichten Nachtzeug trug, und machte mich daran, die Leiche meiner besten Freundin von der Heide auf das violette Goretex zu hieven.
Nichts schien real zu sein. Sie war immer noch Sarah, keine Leiche. Geschockt setzte ich mich hin. Ich fing an zu zittern und zu schluchzen. Dann riss ich mich zusammen und wickelte Sarah ein, als wäre sie ein Geschenk. Ich drehte sie so lange um ihre eigene Achse, bis das lose Material sie umhüllte, und wickelte zum Schluss ihren Kopf in einen ordentlichen Umschlag aus Zeltplane.
O Gott.
Ich brauchte eine Ewigkeit, um ihren Körper in die Felsspalte zu heben, aber ich schaffte es. Das einzige Problem bestanddarin, dass dauernd ihr linker Arm aus seiner Umhüllung fiel. Ich steckte ihn wieder hinein, aber er fiel erneut heraus.
Erschöpft ließ ich für eine Weile von meinem Vorhaben ab und sammelte stattdessen Steine, um die Öffnung zu kaschieren, aber als ich mich wieder an meine eigentliche Aufgabe machte, wollte der verdammte Arm sich einfach nicht bändigen lassen.
Mein Adrenalinspiegel schoss in die Höhe, als mir klar wurde, dass es bald hell werden würde. Ich lief Gefahr, von Wanderern entdeckt zu werden, die die Polizei rufen würden. Wieder dachte ich an Robbie. Dann nahm ich einen Stein und schlug auf Sarahs Schulterknochen. Er knirschte.
Den ausgerenkten Arm schob ich hinter Sarahs Nacken. Er sah aus, als existiere er völlig unabhängig von dem zeltumwickelten Körper – ein einzelner Arm in einer grotesken Haltung.
Nachdem ich den letzten Stein im Eingang der Felsspalte platziert hatte, fiel mein Blick auf die Zeltpflöcke. Mit dem Fuß drückte ich sie, einen nach dem anderen, in die Erde.
Ich kletterte zurück auf die Felsspitze, nahm meinen Rucksack und zwang mich, mit dem Weinen aufzuhören. Dann machte ich mich auf den Weg zurück ins Hotel.
Ich ging mit zitternden Beinen, Tränen strömten mir über das Gesicht. Auf halbem Weg traf ich auf eine Gruppe Deutscher. Es dämmerte schon. Die Landschaft hatte eine graulila Färbung angenommen und vermittelte eine erste Ahnung von der bald aufgehenden Sonne. Ich hielt meinen Kopf gesenkt und versuchte, unerkannt zu bleiben. Nach dem gewonnenen Fußballspiel vom Vorabend waren sie verkatert und grunzten bloß etwas in meine Richtung, ohne mein blutiges Gesicht, meine Tränen, die verschmierte Wimperntusche, das Zittern, die blauen Flecken und meine zweifellos bösen, mordlustigen Augen zu bemerken. Ich dankte Gott und hob wieder den Kopf, nur um festzustellen, dass Matt in seinen altbekannten Klamotten vor mir stand.
»Scheiße!« Ich wich einen Schritt zurück.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er.
»Mir geht’s gut«, sagte ich, auch wenn es überhaupt nicht danach aussah.
»Hat dieses Arschloch dir wehgetan?«
»Nein, nein, er hat mir nicht wehgetan.«
»Hör mal, ich hatte nie vor … du weißt schon, es zu erzwingen.«
»Ist gut, Matt«, sagte ich und ging weiter.
Er schrie mir etwas hinterher. Dieser Kyle solle besser aufpassen, oder so ähnlich. Wie man in den Wald hereinruft, so schallt es heraus, sagte er wohl.
Ich rannte den Rest der Strecke.
Als ich ankam, hatten sich Wanderer mit Karten und Thermoskannen vor dem Hotel versammelt, um sich auf den härtesten Tag der Wanderung vorzubereiten. Drinnen war das Personal mit dem Frühstück beschäftigt. Ich lief durch die Halle und die Treppe nach oben in mein Zimmer.
Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, sackte ich zusammen.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging, ehe ich unter die Dusche kroch. Blut und Tränen rannen an mir herab, und Dampf erfüllte den Raum.
Dann hörte ich Sarahs Stimme.
»Krissie! Kriss!«
Langsam zog ich den Vorhang zurück. Aber ich
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