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Furchtbar lieb

Furchtbar lieb

Titel: Furchtbar lieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen FitzGerald
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einfach.
    Robbie hatte sich beruhigt. Das Schmerzmittel, das meine Mutter ihm gegeben hatte, wirkte jetzt, und er zappelte fröhlich auf der wattierten Decke seines Baby Gym, schlug mit den Fäusten auf Enten und quietschende Bälle ein und lächelte. Ich ließ ihn im Wohnzimmer liegen und machte mich daran, die Fluchtroute auszukundschaften.
    Ich öffnete die Wohnungstür und vergewisserte mich, dass niemand in der Nähe war. Dann öffnete ich die Holztür der Dachbodenluke und zog mich hoch. Alles war staubig dort oben, vollgestopft mit Isoliermaterial, Sperrholz und einem künstlichen Weihnachtsbaum. Den Lichtsprenkeln folgend, kroch ich an den Balken entlang, geriet aber sehr schnell in eine Sackgasse. Man hatte die Stelle mit Backstein zugemauert. Also kroch ich in die entgegengesetzte Richtung, schätzte die Größe meiner Wohnung und die Größe der gegenüberliegenden Wohnung ab und musste feststellen, dass die Dachböden keineswegs miteinanderverbunden waren. Durch das Gefälle der Straße lagen sie unterschiedlich hoch und waren durch Backsteinmauern voneinander getrennt. Als ich zurück ins Treppenhaus sprang, folgten mir Staub und Isoliermaterial. Die alte Schachtel von gegenüber spähte aufgeschreckt durch das Fenster in ihrer Wohnungstür. Ich lief in meine Wohnung und schlug die Tür zu.
    Es gab keine Möglichkeit, über das Dach zu entkommen. Ich musste mich durch den Hintereingang davonstehlen.
    Robbie spielte immer noch auf seiner Matte. Er hatte sich auf den Bauch gedreht, reckte den Kopf begeistert in die Höhe und trampelte mit den Füßen auf dem Boden herum.
    Ich zog mir die übliche Prominenten-Verkleidung an: Mantel, Brille, Hut und Schal. Dann schnallte ich den Rucksack um, hob Robbie hoch und versteckte ihn unter meinem Mantel. Er hielt das für einen Riesenspaß und machte sich mit seinem feuchten Zahnfleisch über die Rucksackriemen her.
    Ich ging die Treppe hinab und hatte es bis zum Hintereingang geschafft, als Marco von den Mülltonnen zurückkam.
    »Krissie? Was machst du?«, fragte er.
    »Nur einen kleinen Spaziergang.«
    Ich drehte mich um und ging auf die Vordertür zu. Es hätte definitiv zu seltsam ausgesehen, wenn ich hinten hinausgegangen wäre.
    Als ich die Tür zur Außenwelt öffnete, sah ich den Polizisten. Er saß an einem Cafétisch und trank einen Kaffee. Ich beschleunigte meinen Schritt und ging in die entgegengesetzte Richtung.
    Mach schnell, sagten meine Schwätzer. Bleib nicht stehen, dreh dich nicht um, geh die Gardner Street hinab bis zum Taxistand an der Dumbarton Street. Mach schnell und bleib nicht stehen.
    »Krissie!«
    Ich ignorierte die Stimme und ging rasch weiter.
    »Krissie Donald!«
    Ich rannte den Abhang hinab. Aber das tat der Bulle auch. Und er war schnell. Langsam holte er auf.
    »Krissie!«
    Er packte mich am Arm, und ich hatte keine andere Wahl: Ich musste stehenbleiben. Die Tränen waren bereit, zu fließen, die reuigen Worte bereit, ausgesprochen zu werden. Ich drehte mich um, um mich zu stellen.
    »Sag nicht, dass du mich nicht erkennst.«
    »Entschuldigung?«, sagte ich, überrascht, dass ein Polizist, der eine Mörderin schnappt, in so vertrautem, entspanntem, fast begeistertem Tonfall sprach.
    »Ich bin’s, Johnny. Wachtmeister Johnny Wallace!«
    Diese Aussage machte mir klar, dass ich nicht in Schwierigkeiten steckte, dass ich sicher war und nicht fortlaufen und für immer in Indien untertauchen musste. Leider hatte ich aber keine Ahnung, wer Johnny Wallace war.
    »Oh, hallo!«, sagte ich und neigte den Kopf ein bisschen zur Seite, um zu sehen, ob er mir aus einem anderen Blickwinkel bekannter vorkäme.
    »Erkennst du mich wirklich nicht?«
    Ich brachte so liebreizend wie möglich mein Bedauern zum Ausdruck, und er beugte sich zu mir und flüsterte mir ins Ohr: »Clatty Patty’s? Dann zu dir?«
    »Ah«, sagte ich. Immer noch hielt ich den Kopf zur Seite geneigt und blinzelte ihn an.
    Er war verärgert über meinen offenkundigen Gedächtnisausfall, und seine Stimme nahm einen anderen Ton an. Bislang hatte sie signalisiert: »He, sieh mich an, ich bin Polizist!« Fortan würde sie signalisieren: »Gib acht, was du tust, Mädel!«
    Es war dieser Tonfall, den er anschlug, als er einen Schritt zurücktrat und sagte: »Wir haben zweimal miteinander geschlafen, und am Morgen danach hast du mir ein Taxi gerufen, weil ich den ersten Satz aus ›Anna Karenina‹ nicht konnte.«
    Ich erinnerte mich an ihn! Der Sex war gut gewesen, aber der Typ so

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