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Furchtbar lieb

Furchtbar lieb

Titel: Furchtbar lieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen FitzGerald
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dumm wie Holz. »Das war eine 1A-Sache« hatte er gejubelt, nachdem er gekommen war.
    »Oh«, sagte ich. »Das tut mir leid. Natürlich. Du siehst großartig aus! Toll, dich zu sehen. Ich muss leider gleich weiter.«
    Er hob eine Augenbraue und spielte drohend an seinem Schlagstock herum, als ich mich verabschiedete und auf meine Wohnung zusteuerte.
    »Ms. Donald!«, schrie er mir hinterher.
    Ich blieb wie angewurzelt stehen, und hinter mir erklang eine mädchenhafte Stimme.
    »Alle glücklichen Familien ähneln einander; jede unglückliche aber ist auf ihre eigene Art unglücklich …«
    Ich drehte mich um, versuchte ihn anzulächeln und ging zurück in meine Wohnung.
    Kaum angekommen, legte ich Robbie wieder in sein Baby Gym, und er drehte sich sofort auf die Brust. Das war etwas Neues, dieses energische Herumrollen, und es schien ihn mit großer Selbstzufriedenheit zu erfüllen. Wenn man neun Monate lang kaum etwas anderes getan hat, als wie ein Klumpen herumzuliegen, dachte ich, dann muss es einem ziemlich aufregend vorkommen, sich umzudrehen.
    Ich ging ins Badezimmer, um mein Gesicht zu waschen. Im Spiegel sah ich eine Frau mit geröteten Augen, blauen Flecken, der Frisur einer Obdachlosen und äußerst merkwürdiger Kleidung. Wer war ich? Und was hatte ich mir dabei gedacht? Wird schon schiefgehen? Flüchten? Meiner Schuld konnte ich nicht entkommen, niemals. Ich musste gestehen.
    Ich wollte gerade die Polizei anrufen, als aus der Küche ein gewaltiger Knall drang. Ich rannte in den verdunkelten Raum und schaute mich um. Alles stand an seinem Platz. Als ich die Küche verlassen wollte, hörte ich einen weiteren lauten Knall. Es war das Fenster. Das Fenster hatte geknallt. Ich ging langsam darauf zu und hob vorsichtig eine Jalousielamelle an. Dann näherte ich mein Auge dem Spalt und sah hinaus, erst in den Abendhimmel und dann auf das vertrocknete Grün im Hof, wo ich Sarah stehen sah. Sie war mit einem formlosen, violetten Zelt bekleidet, und ihr weißer, ausgekugelter Arm hing leblos an ihr herab.
    Ich ließ die Lamelle zurückschnellen und rannte zur Wohnungstür, um das Schloss zu prüfen. Es war verschlossen. Ichlegte die Kette vor und raste durch die anderen Zimmer, um die Fenster zu prüfen. Sie waren alle verschlossen, aber es fing wieder zu knallen an.
    Knall. Knall. Knall. Die dumpfen Schläge hallten in meinem Kopf wider. Diesmal kam es von der Wohnungstür. Knall. Knall. Knall. Es war wie bei Shakespeare. Sarah wollte sich allem Anschein nach Zutritt verschaffen. Ihr Geist war gekommen, mich zu holen.
    Ich rannte ins Wohnzimmer, um Robbie zu holen, und blieb wie angewurzelt vor der gepolsterten Matratze des Baby Gym stehen, wo er wenige Sekunden zuvor noch gelegen hatte.
    Er war nicht da.
    Sie hatte ihn mitgenommen! Sarahs Geist hatte meinen Sohn mitgenommen!
    »Robbie! Robbie, wo bist du? Robbie!«, schrie ich erschrocken.
    Ich raste durch die Wohnung. Ins Badezimmer, hinter den Duschvorhang. In die Küche, unter den Tisch, in die Speisekammer. Dann rannte ich ins Schlafzimmer und schluchzte hysterisch, während es an der Wohnungstür weiter hämmerte. Verzweifelt suchte ich im Kleiderschrank, hinter dem Vorhang und unter dem Bett.
    Und da war er. Aß Fussel unter meinem extragroßen Bett. Ich sah ihn an, und er lächelte zurück, mit Fusseln auf der Unterlippe, und dann krabbelte er plötzlich breit grinsend auf allen vieren auf mich zu.
    Mein Baby krabbelte!
    Ich schloss ihn in die Arme und ging zurück in den Flur. Das Hämmern hatte aufgehört.
    Als ich wieder aus dem Küchenfenster schaute, sah ich bloß einen großen Apple-Mac-Karton, hinter dem etwas zerrissene Noppenfolie im Wind wehte.
    Ich hatte Visionen. Ich war verrückt.
    Ich ging aus der Küche in den Flur, und das Hämmern setzte wieder ein, diesmal noch heftiger. Zu meinem Entsetzen begann die Wohnungstür zu zittern und zu wackeln.
    Ich steckte Robbie unter meine fliederfarbene Vliesjacke, und die Tür bebte und dröhnte. Dann ging ich rückwärts bis zur Wohnzimmerwand und rutschte, Robbie im Arm, resigniert zu Boden. Dort kauerten wir und warteten, ein wimmerndes, violettes Knäuel.
    Wir sahen zu, wie die untere Türangel aus der Wand splitterte, wie die Schraube der Kettenhalterung sich löste und auf den Boden schlug, wie die obere Türangel plötzlich nachgab, und wie die Halterung des Einsteckschlosses aus der Wand brach.
    Wie in Zeitlupe fiel die Tür vor uns zu Boden, mit einem Pfeifen, einem Donnern und einem

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