Furchtbar lieb
nachgab, sah er Krissie zusammengekauert auf dem Boden sitzen, ihren kleinen Sohn in den Armen. Sie brauchte einige Zeit, um ihn wiederzuerkennen, aber dann atmete sie stoßartig aus und begann zu schluchzen.
Chas hielt die beiden im Arm. Seine geliebte Krissie und ihr hübsches Söhnchen.
»Sarah! Sie trägt Lila«, murmelte sie immer wieder.
Sie delirierte unverständliches Zeug. Er brachte sie ins Schlafzimmer und legte sie aufs Bett.
Chas sagte der Nachbarin, dass kein Einbrecher da sei und kein Grund bestehe, die Polizei zu rufen. Dann lehnte er die Tür an die Wand und fütterte Robbie, der schließlich einschlief. Chas kehrte ins Schlafzimmer zurück, wo Krissie mit geschlossenen Augen lag. Draußen war es dunkel geworden, und Chas schaltete die Nachttischlampe aus, damit Krissie schlafen konnte.
»Sarah!«, sagte sie wieder.
»Du bist nicht gesund, kleines Mädchen, du redest Unsinn. Schlaf dich aus!«
Da öffnete sie die Augen und fragte: »Chas, wie hat es sich angefühlt, etwas wirklich Böses zu tun?«
»Ich habe nichts wirklich Böses getan.«
»Wie kannst du das sagen?«
»Mach dir keine Gedanken. Schlaf jetzt.«
Krissie verfiel in einen unruhigen Schlaf. Visionen vonSarahs Gesicht suchten ihre Träume heim. Blut und Tod mit krankem Lächeln.
»Krissie! Kriss! Superschlau«, tönte es aus Sarahs blutigem Mund.
Krissie schreckte hoch und schlief wieder ein. Sie murmelte im Schlaf. »Ich habe mit Kyle geschlafen! Es tut mir so leid, Sarah. Kyle!«
Als Chas sah, wie Krissie sich in ihrem Bett hin und her warf, wurde ihm klar, dass sie sich in einem fürchterlichen Zustand befand. Sie sah verlottert und abgespannt aus – und nach dem, was sie sagte, schien ziemlich klar zu sein, dass sie Kyle zum Ehebruch angestiftet hatte. Wenn sie auf diese Weise weitermachte, dachte Chas, würde sie mehr und mehr herunterkommen. Wenn sie doch nur sähe, dass sie mit ihm als liebendem und treusorgendem …
Kaum war Krissie wieder zu Bewusstsein gekommen, sprang sie hoch und machte Chas’ Hoffnungen zunichte: »Kannst du eine Weile auf Robbie aufpassen? Ich muss mich mit Kyle treffen.«
In panischer Eile zog sie sich an und rannte hinaus in die Dunkelheit.
Als sie gegangen war, saß Chas neben Robbie und betrachtete dessen kleines Gesicht. Seine Unterlippe hatte er unter die Oberlippe gezogen, seine Fäustchen lagen unter seinem Kinn, und seine Wimpern waren so lang und schwarz, dass man meinen konnte, er habe Wimperntusche aufgetragen. Er war seiner Mutter so was von ähnlich.
Chas dachte gerade an die Zeit zurück, als Krissie ihn am Boden liegend gekitzelt hatte und er ihr gesagt hatte, sie sei die schönste Frau des Universums. Da ging draußen ein Alarm los und holte ihn mit einem Schlag zurück in die Gegenwart.
Das Gefängnis hatte Chas gelehrt, alle Arten von Alarm zu fürchten. Es hatte angefangen, als er die Hälfte seiner Strafe verbüßt hatte. Eines Nachts, nachdem das Licht bereits gelöscht worden war, ging ein Alarm los und hörte nicht mehr auf. Chas, der damals keinen Zellengenossen hatte, war auf deroberen Pritsche. Er lag dort auf dem Rücken und hörte, wie Wachen schrien und Schlüssel klirrten. Schließlich erhob er sich langsam, ging über den Zementboden zur Tür und blickte aus seinem winzigen quadratischen Guckloch hinaus. Die Tür der gegenüberliegenden Zelle stand offen, und von der oberen Pritsche baumelte ein Mann. Seine Jeans hatten sich fest um seinen Hals geschlossen, seine Knie schleiften auf dem Boden, und sein Kopf war leuchtend violett. Der Leichnam drehte sich, und als sein Gesicht zum Guckloch zeigte, stierten seine hervorstehenden Augen direkt in Chas’ Augen. Eine Wache übergab sich in das Waschbecken am Ende der Halle. Jemand wählte einen Notruf.
Als Chas zu seiner Pritsche zurückkehrte, war es, als ob der violette Mann lebenslänglich unter ihm eingezogen wäre.
Und so sprang Chas, sobald er den Alarm hörte, mit pochendem Schädel auf. Er schob die Wohnungstür beiseite, ging auf den Treppenabsatz hinaus und die Treppe hinunter. Der Alarm wurde lauter und lauter, als Chas durch die Haustür auf die Straße schaute und sie schließlich öffnete.
Er trat hinaus und sah, dass der Alarm von einem Auto kam. Er schaute das Auto eine Weile an. Ging das jetzt einfach so weiter? Unternahm niemand etwas dagegen? Wie funktionieren die Dinge hier draußen?
Dann fiel die Haustür zu.
Er griff nach der Türklinke und versuchte, sie zu
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