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Furchtbar lieb

Furchtbar lieb

Titel: Furchtbar lieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen FitzGerald
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Spalte in einem Berghang lugte? Eine Hand in all dem Violett, die nach dem Leben griff und flehentlich darum bat, gefunden zu werden und nicht dort liegenbleiben zu müssen?
    »Die Fahrkarten!«
    Krissie schrie so plötzlich auf, dass der Fahrkartenkontrolleur das Gleichgewicht verlor.
    »Entschuldigung!«, sagte er und richtete sich mit einer Grimasse wieder auf. Dann wunderte er sich über den Zustand der Ticketinhaberin. Ihre Augen waren rot und auf ihrem Gesicht zeichneten sich blaue Flecke ab. Durch ihr zerzaustes Haar war eine klaffende Wunde zu sehen.
    Krissie reichte ihm den Fahrschein und sah zurück zum Berg. Da war nichts.
    Der Bus fuhr durch die Ödnis von Crianlarich, auf Loch Lomond zu, dann an Farmen und Destillerien vorbei. Die Strecke ihrer Wanderung, für die sie so lange gebraucht hatten, jagte wie in einem Nebel vorüber, und plötzlich war sie von den Häusern ihrer Stadt umgeben. Glasgow. Die Stadt umarmte sie mit all ihrer Nässe und Dunkelheit, und sie fühlte sich etwas sicherer. Sie würde in der Stadt verschwinden, und alles wäre in Ordnung.
    Als der Bus sich seinen Weg zur Buchanan Street bahnte, stellte Krissie ihr Handy an. Sie würde ihre Eltern anrufen und ihnen sagen, dass sie Blasen oder etwas Ähnliches habe, und dass sie leicht gestürzt sei. Dann würde sie Robbie mit nach Hause nehmen. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass die Nähe ihres Sohnes sie beschützen werde. Sie würde ihre Reputation als Mutter wiederherstellen, würde sich in die Wärme von Robbies Bedürftigkeit einspinnen wie in einen Kokon und alles vergessen. Es wäre schlichtweg egoistisch, Robbies Wohlergehen durch ihre Erinnerungen zu gefährden.
    Krissie wartete, bis der Bus sein Ziel gefunden hatte, und stieg aus. Als ihr Handy klingelte, blieb sie mitten im Busbahnhof erschrocken stehen. Konnte das die Polizei sein? Zwischen Hunderten von Menschen, die dicht zusammengedrängt dastanden und zu einem flimmernden elektronischen Fahrplan hochsahen, holte Krissie langsam und vorsichtig das Handy aus ihrer Jeanstasche.
    Die Anzeige des Handys war verschwommen. Ihr war schwindlig, als sie sie anschaute, und sie war außerstande, den Namen des Anrufers zu entziffern. Aber während das Klingeln immer lauter zu werden schien, glaubte sie »Sarah mobil« auf der Anzeige zu lesen.
    Krissie ließ sich auf eine Bank fallen, während jemand mit englischem Akzent ankündigte, dass der nächste Bus aus Stirling um 14 Uhr 43 eintreffen werde.
    Sie schluckte, drückte auf Rückruf und wartete auf den Signalton.
    Aber er kam nicht.
    Stattdessen kam um 14 Uhr 43, wie angekündigt, der Bus aus Stirling, und es kam ein Warnsignal für niedrigen Akkustand. Dann kam nichts mehr.
    »Ich werde verrückt«, dachte sie. »Ich habe Visionen.«
    Auch im Taxi auf dem Weg zum Haus ihrer Eltern hing Krissie seltsamen, dissonanten Gedanken nach, wie: Eines steht fest – eine von Schuldgefühlen geplagte Frau mit postnataler Depression sollte keine Affäre mit dem Mann ihrer besten Freundin anfangen und dann die beste Freundin ermorden. Das bringt doch nichts. In Wahrheit macht es alles wesentlich schlimmer. Wäre da nicht die Affären-/Mörder-Episode gewesen, Krissie hätte sich schon auf dem Weg der Genesung befunden.
    Doch so wie die Dinge standen, tappte sie durch einen Nebel aus Schuld und Trauer und war unsicher, über welche der beiden Kategorien sie zuerst nachdenken solle. Sie hatte ihre beste Freundin umgebracht. Sie war eine Mörderin, und sie würde in die Hölle kommen. Krissie hatte seit geraumer Zeit nicht mehr an die Hölle geglaubt, aber jetzt tat sie es. Dort würde sie bis in alle Ewigkeit schmoren.
    Krissie dachte an den Moment, als alles sich verändert hatte, als sie zur Tochter des Teufels geworden war. Es war passiert, als Sarah sie eine Lügnerin genannt hatte. Daraufhin hatte Krissie ihr einen Stoß versetzt.
    Während dieses Sekundenbruchteils war sie von einem normalen Alltagsmenschen mit akzeptablen Fehlern – wie der Tatsache, dass sie zu viel trank und ein wenig eitel war und sehr ungeduldig – zu einer Mörderin geworden. Ein Sekundenbruchteil, und alles hatte sich für immer verändert.
    Vielleicht war das der Grund, weshalb Verliebtsein sich wie Trauer anfühlte, dachte sie. Weil hier wie dort ein einzelner, klar auszumachender Moment alles auf den Kopf stellt. Man fährt nichtsahnend geradeaus, und plötzlich (mit einem Kuss oder mit einem Stoß) biegt man scharf nach links oder rechts ab, geradewegs in

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