Furor
»Einsatzführungskommando«, um uns vom Generalstab der Wehrmacht zu distanzieren.
Dr. Reinhard B. (SPD): Würden Sie uns bitte sagen, was Sie von den Ereignissen im Sudan im Dezember letzten Jahres wissen, um die es bei dieser Untersuchung geht? Wie konnte es zu einem Massaker deutscher Soldaten an einheimischen Zivilisten kommen?
Zeuge: Meine Damen und Herren. Ich sehe mich völlig außerstande, Ihnen auf diese Frage eine Antwort zu geben. Ich kann mir noch immer nicht vorstellen, dass Angehörige der deutschen Streitkräfte zu solchen Untaten fähig sein sollen.
Die Bundeswehr beteiligt sich im Sudan an einer internationalen Mission im Kampf gegen den Terror. Wir führen zusammen mit unseren Verbündeten einen Auftrag aus, der . . .«
Dr. Reinhard B. (SPD): Generalleutnant Wagner. Wir kennen den Auftrag der Bundeswehr. Die Bundesregierung hat die Bundeswehr selbst dorthin . . .
Dr. Heidrun F. (CDU): Der Bundestag, bitte schön.
Dr. Reinhard B. (SPD): Bitte. Wir haben die Bundeswehr selbst in den Sudan gesandt, Sie müssen uns nicht über die Legitimation Ihres Auftrags unterrichten.
Zeuge: Ja. Entschuldigung. Dann möchte ich hier noch einmal wiederholen, was ich bereits gegenüber dem Verteidigungsminister gesagt habe. Bevor die Bundeswehr als Hort von Verbrechern dargestellt und dies womöglich noch in der Presse verbreitet wird, ist es unsere Pflicht, auch den Angehörigen der Streitkräfte gegenüber, abzuwarten, welche Beweise sich für die unglaublichen Anschuldigungen finden lassen.
Jochen H. (Grüne): Sie scheinen demnach auf die Aussagen der beiden bisher gehörten Zeugen nicht viel zu geben. Sie sind doch mit den Aussagen der beiden Angehörigen des Kommandos Spezialkräfte vertraut?
Zeuge: Ich bin damit vertraut, und ich gebe nichts darauf. Dassind doch keine Beweise. Ich kann Ihnen tausend Gründe nennen, weshalb einzelne Personen sich bemühen, die Bundeswehr in ein schlechtes Licht zu rücken. Einer der Zeugen ist ja auch gar kein Angehöriger der Bundeswehr mehr.
Jochen H. (Grüne): Dann nennen Sie uns doch mal die Gründe.
(Pause)
Zeuge: Ja, also. Vielleicht fühlten sich die Betreffenden falsch behandelt.
Jochen H. (Grüne): Besteht die Gefahr, dass sich Angehörige der Bundeswehr so falsch behandelt fühlen könnten, dass sie derart schreckliche Lügen verbreiten?
Dr. Reinhard B. (SPD): Bitte, bleiben wir doch beim Thema.
Herr Generalleutnant, Sie erklären also, Sie können uns nicht weiterhelfen?
Zeuge: Dr. B. Ich würde empfehlen, Sie fragen die Vorgesetzten der Soldaten, denen der unglaubliche Vorwurf gemacht wird. Brigadegeneral Leise steht ja zu Ihrer Verfügung. Ich kann Ihnen nur sagen, dass Angehörigen der Bundeswehr niemals der Befehl erteilt wurde, Zivilisten zu töten. Ich glaube auch nicht, dass es ein Massaker gab. So beurteilt das Einsatzführungskommando der Bundeswehr zur Zeit und bis auf weiteres die Situation.
Dr. Heidrun F. (CDU): Haben Sie selbst versucht herauszufinden, ob Angehörige der Streitkräfte an einem Massaker beteiligt waren?
Zeuge: Nein.
Dr. Heidrun F. (CDU): Sie wissen doch seit den ersten Veröffentlichungen in der Presse von den Anschuldigungen.
Und Sie haben sich nicht die Mühe gemacht, dieser Ungeheuerlichkeit nachzugehen?
Zeuge: Ich habe nichts auf diese Behauptungen gegeben. Ich sah und sehe keine Veranlassung, Staub aufzuwirbeln.
21. April, Morgen
Das Herz des Instituts war das »Zentrum«. Es war die Krönung von Christian Raabes Lebenswerk. In dieser Kathedrale der Erinnerung war das Gedächtnis Verstorbener für die Ewigkeit bewahrt. Immer wieder zog es Sebastian dorthin, so auch jetzt. Er musste sich auf andere Gedanken bringen.
Das Zentrum lag im dritten Stockwerk unter der Erdoberfläche. Normalerweise fuhr jedermann mit dem Aufzug. Sebastian war vielleicht der Einzige, der die Treppe benutzte, die hinunterführte, vorbei an der Tierhaltung mit den unzähligen Ratten- und Rhesusaffen-Käfigen und den Mikrobiologieund Biochemie-Labors. Hier wurden Nervenzellen in Kulturschalen gezüchtet, um die Neubildung von Nerven und die Übertragungseigenschaften einzelner Zellen zu untersuchen. Aus embryonalen Stammzellen gewannen die Forscher hier Nervenzellen, die bestimmte Hirnbotenstoffe produzierten. Hier, in diesen ungemütlichen Räumen, traf man nur auf Doktoranden, Diplomanden und Assistenten.
Sebastian liebte es, allein durch das Treppenhaus zu gehen. Eine Notbeleuchtung tauchte die Stufen in ein dämmriges, rötliches Licht.
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