Furor
fort.
Wallroth hatte den Kopf geneigt und schien aufmerksam zuzuhören. Als Sebastian nicht weitersprach, räusperte er sich.
»Was ist denn das für eine Geschichte?«, fragte er. »›Substanzen, die das Verhalten von Menschen verändern‹. Jedes Aspirin verändert das Verhalten von Menschen, weil man ohne Kopfschmerzen in einer anderen Stimmung ist als mit und ganz andere Dinge tun kann. Oder Antidepressiva. So gesehen wollten wir natürlich Einfluss auf das Verhalten von Menschen nehmen. Wir wollten ein Mittel finden, das den MenschenStress besser ertragen lässt. Aber wer sollte diese Versuche manipuliert haben? Steadman? Ausgerechnet? Wie in aller Welt kommst du darauf?«
»Ich meine, du hast doch selbst gesagt, es könnte sein, dass euer Mittel mit einer anderen Substanz reagiert hat. Vielleicht hat jemand . . . hat Steadman . . . tatsächlich eine andere Substanz . . .«
»Was hast du in Gottes Namen bloß mit Steadman? Das Ganze war ein furchtbarer Unfall. Eine Katastrophe. Und Steadman . . . den kenne ich inzwischen seit über zwanzig Jahren und lege meine Hand für ihn ins Feuer. Steadman ist ein erstklassiger, integrer Wissenschaftler, an dessen Versuchen noch keine Ethikkommission jemals etwas zu kritteln hatte.«
Wallroth, dachte Sebastian, war völlig überzeugt von dem, was er sagte. War ihr Verdacht gegen Steadman so abwegig?
»Hast du schon mal von den Versuchen gehört, die die CIA in den USA unter dem Namen MKULTRA unternommen haben?« Sebastian hatte beschlossen, Wallroth ganz direkt zu fragen.
Wallroth verzog das Gesicht. »Ja, natürlich habe ich davon gehört.« Er kratzte sich am Kinn. »Das wurde in den 70er Jahren bekannt, nicht? Was ist damit?« Dann wurde ihm klar, worauf Sebastian hinauswollte. »Du meinst, wir waren damals in einen solchen Versuch verstrickt?«
»Es sind offenbar einige Wissenschaftler unwissend beteiligt worden«, antwortete Sebastian. Aber je länger er mit Wallroth darüber sprach, umso abwegiger kam ihm der Gedanke vor. »Manipuliert«, sagte er ohne große Überzeugung. »Zumindest alle bis auf einen von euch. Und dieser Dietz.«
»Dietz?« Über Wallroths Gesicht schien sich ein Schatten zu legen. Dann hellte sich seine Miene wieder auf. »Du meinst diesen Kerl, der damals der Verbindungsmann zwischenuns und der peruanischen Regierung war? Himmel, Sebastian. Steadman und Dietz als wissenschaftliches Verschwörerteam?« Er lachte. Dann entschuldigte er sich. »Sebastian, ich weiß, dass das alles eigentlich nicht zum Lachen ist . . .« Er rieb sich die Augen. Wallroths Reaktion war für Sebastian Antwort genug. Der Freund seines Vaters hatte keine Ahnung, was damals wirklich vor sich gegangen war. Doch es gab da noch etwas, über das er mit Wallroth sprechen musste.
»Weißt du, ich glaube nicht, dass mein Vater Selbstmord begangen hat. Er wurde ermordet. Vielleicht, weil er seine Forschungsergebnisse nicht preisgeben wollte. Oder er hat damit gedroht, über das, was damals passiert ist, auszupacken. Du hattest mich doch auch gefragt, woran er zuletzt gearbeitet hat. Inzwischen weiß ich es: Er hat versucht, die Erinnerungen von lebenden Menschen zu speichern.«
Wallroth erstarrte und blickte Sebastian entsetzt an. Seine Hände begannen zu zittern. »Und? Hat er es geschafft?«, fragte er.
»Ja«, antwortete Sebastian. »Leider. Und irgendjemand wollte um jeden Preis wissen, wie. Zum Glück habe ich alle Daten gelöscht. Das war sein letzter Wunsch . . .«
»WAS?«, schrie Wallroth. »Du hast sie gelöscht?« Dem Wissenschaftler war alle Farbe aus dem Gesicht gewichen, er hielt sich an der Kante des Schreibtisches fest. »Um Gottes willen, Sebastian! Die Arbeit deines Vaters . . .«
»Er wollte es so«, erklärte Sebastian. »Ich habe aber eine Kopie gemacht.«
Wallroth kam einen Schritt auf ihn zu. »Ach . . .?«
»Auch die werde ich löschen. Er wollte es so, und er wusste sicher, warum . . .«
»Nein.« Wallroth unterbrach ihn. »Das kannst du nicht machen, Sebastian.« Wallroth rang sichtlich um Fassung. »Wenn es ihm wirklich gelungen ist . . . Sebastian, damit wäre ein enormerDurchbruch – ich meine, dafür hätte dein Vater zu Lebzeiten den Nobelpreis bekommen können.«
»Aber er wollte es so. Ich hätte die Dateien erst gar nicht kopieren sollen.«
Die Heftigkeit von Wallroths Reaktion hatte Sebastian erschreckt. Andererseits war er Forscher mit Leib und Seele, was hatte Sebastian erwartet? Wallroth machte einen weiteren Schritt auf
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