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FutureMatic

FutureMatic

Titel: FutureMatic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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für den Angelkoffer eines Süßwasseranglers gedacht, um Wasserschlangen zu erledigen oder leere Bierflaschen zu köpfen – Fontaine hat sie mit Bedacht gewählt. Er will niemanden umbringen, obwohl er das, um die Wahrheit zu sagen, schon getan hat und es sehr wahrscheinlich wieder tun könnte. Er mag es nicht, wenn eine Faustfeuer-waffe einen Rückstoß hat und übermäßig laut ist, und er misstraut halb automatischen Waffen. Er ist ein Anachronist, ein Historiker: Er weiß, dass der Rahmen der Smith & Wesson für eine längst ausgestorbene 32er-Kaliber-Zentralfeuer-Patrone entwickelt worden ist, die ehemalige Standardmunition für amerikanische Taschenpistolen. Mit einer neuen Trommel f ür den schlichten 22er hat er in diesem Modell bis Mitte des 20. Jahrhunderts überlebt. Ein praktisches Ding, und wie die meisten seiner Artikel eine Rarität.
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    Er trinkt den Kaffee aus, stellt die leere Tasse auf den Tresen neben das Auslagekästchen mit den Armbanduhren.
    Fontaine ist ein guter Schütze. In der archaischen einhändigen Stellung eines Duellanten hat er schon auf zwölf Schritt Entfernung die Augen aus einer Spielkarte geschossen.
    Er zögert, bevor er die Tür des Ladens aufschließt, ein komplizierter Prozess. Vielleicht ist der Kniende nicht allein. Auf der Brücke selbst hat Fontaine wenige Feinde, aber wer weiß schon, was von den beiden Enden, San Francisco oder Oakland, her-eingeschneit sein mag? Und die Ödnis von Treasure Island hat schon seit jeher eine noch barbarischere Form des Wahnsinns zu bieten.
    Aber trotzdem.
    Er legt den letzten Riegel um und zieht den Revolver.
    Sonnenlicht fällt wie ein seltsamer Segen durch die aus Holz-und Plastikschrott bestehende Verkleidung der Brücke. Fontaine riecht die Salzluft, eine Quelle der Korrosion.
    »Sie da«, sagt er, »Mister.« Die Waffe in der Hand, in den Falten des Trenchcoats verborgen.
    Unter dem gürtellosen, offenen Trenchcoat trägt Fontaine eine ausgeblichene Pyjamahose aus Flanell und ein langärmeliges wei-
    ßes Thermounterhemd, das sich durch die Launen des Waschvor-gangs ekrü verfärbt hat. Seine nackten Füße stecken in schwarzen, nicht zugebundenen Schuhen, deren Glanz in den tieferen Falten matt geworden ist.
    Dunkle Augen blicken aus einem Gesicht zu ihm auf, dem irgendwie etwas Verschwommenes anhaftet.
    »Was machst du hier?«
    Der Junge legt den Kopf schief, als würde er auf etwas horchen, was Fontaine nicht hören kann.
    »Weg da von meinem Fenster.«
    Mit einem merkwürdigen, vollständigen Mangel an Anmut, der auf Fontaine schon wieder wie eine ganz eigene Form der Anmut wirkt, erhebt sich die Gestalt. Die braunen Augen starren 67
    Fontaine an, sehen ihn aber irgendwie nicht oder erkennen ihn vielleicht nicht als ein anderes Lebewesen.
    Fontaine zeigt den Smith & Wesson, den Finger am Abzug, richtet ihn jedoch nicht direkt auf den Jungen. Er richtet nie eine Waffe auf jemanden, wenn er noch nicht ganz bereit ist, ihn nie-derzuschießen; das hat er vor langer Zeit von seinem Vater gelernt.
    Dieser Kniende, der ihm da an die Scheibe geatmet hat, ist nicht von der Brücke. Es würde Fontaine schwer fallen zu erklä-
    ren, woher er das weiß, aber er weiß es. Das kommt daher, dass er schon so lange hier lebt. Er kennt nicht jeden auf der Brücke und will das auch gar nicht, aber er kann Brückenbewohner trotzdem von anderen unterscheiden, und zwar mit unfehlbarer Sicherheit.
    Diesem hier fehlt etwas. Etwas stimmt nicht mit ihm; sein Zustand zeugt nicht von Drogen, sondern ist eine dauerhaftere Form des Nichthierseins. Und obwohl es unter der Brückenbevölkerung durchaus auch solche wie ihn gibt, sind sie irgendwie in die Struktur des Ortes eingebunden, tauchen normalerweise nicht einfach so aufs Geratewohl auf und stören das merkantile Ritual.
    Irgendwo hoch oben hämmert der Wind aus der Bucht gegen eine lose Plastikklappe, ein wildes Geprügel, wie das idiotische Geflatter eines riesigen, verwundeten Vogels.
    Fontaine schaut in braune Augen in dem Gesicht, das immer noch nicht richtig scharf werden will (weil es dazu unfähig ist, denkt er jetzt), und bereut, dass er die Tür aufgesperrt hat. Selbst jetzt nagt die Salzluft an den blitzenden, lebenswichtigen Metall-teilen seiner Waren. Er macht eine Geste mit dem Lauf seiner Pistole: Verschwinde.
    Der Junge streckt die Hand aus. Eine Armbanduhr.
    »Was ist damit? Willst du die verkaufen?«
    Nichts in den braunen Augen deutet daraufhin, dass er sprechen

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