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FutureMatic

FutureMatic

Titel: FutureMatic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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dass sie ein Mediengebilde in Reinkultur ist. Und das macht einen Großteil ihrer Anziehungskraft aus.
    Wenn es Rei Toei nicht gäbe, überlegt Yamasaki, wäre Laney jetzt nicht hier. Der Versuch, sie zu verstehen, ihre Motive zu er-gründen, hatte ihn ursprünglich nach Tokio geführt – im Dienst von Rez’ Management-Team, nachdem der Sänger Rez bekannt-gegeben hatte, dass er sie heiraten wolle. Und wie, fragten sie, sollte das gehen? Wie konnte ein Mensch, selbst ein so gründlich medialisierter wie er, ein Konstrukt heiraten, ein Software-Kon-glomerat, einen Traum?
    Doch Rez, der chinesisch-irische Sänger, der Popstar, hatte es versucht. Yamasaki weiß das. Er weiß mehr darüber als jeder andere echte Mensch, einschließlich Rez, weil Rei Toei mit ihm dar-74
    über gesprochen hat. Ihm ist klar, dass Rez im Reich des Digitalen so umfassend existiert, wie das für einen echten Menschen nur möglich ist. Wenn Rez-der-Mensch heute sterben sollte, würde Rez-die-Ikone mit Sicherheit weiterleben. Aber Rez’
    sehnte sich danach, dorthin zu gehen, buchstäblich dorthin zu gehen, wo Rei Toei ist. Oder war, da sie nun ja offenkundig verschwunden ist.
    Der Sänger hatte in einem Reich des Digitalen oder in einem noch nicht einmal in der Vorstellung existierenden Grenzland mit ihr zusammen sein wollen. Es jedoch nicht geschafft.
    Aber ist sie nun dorthin gegangen? Und warum ist Laney ebenfalls geflohen?
    Rez tourt gerade durch die Kombinat-Staaten. Er besteht darauf, mit der Bahn zu fahren. Station um Station, Endziel Moskau, aufflackernde Gerüchte über Wahnsinn im Kielwasser der Band.
    Ein düsteres Geschäft, denkt Yamasaki, während er die Treppe zur Pappkartonstadt hinuntergeht, und er fragt sich, was genau Laney nun eigentlich hier will. Er spricht von Knotenpunkten in der Geschichte, von einem sich herausbildenden Muster in der Struktur der Dinge. Davon, dass sich alles verändert.
    Laney ist ein netter Kerl, ein Mutant, das Zufallsprodukt geheimer klinischer Versuche mit einer Droge, die einem kleinen Prozentsatz der Versuchspersonen etwas verliehen haben, was auf merkwürdige Weise medialen Fähigkeiten ähnelt. Aber Laney ist nicht medial begabt im irrationalen Sinn; vielmehr kann er dank der organischen Veränderungen, die vor langer Zeit vom 5-SB – dieser Droge – ausgelöst worden sind auf irgendeine Weise Ver-
    änderungen wahrnehmen, die sich in ungeheuren Datenströmen abzeichnen.
    Und nun ist Rei Toei fort, behauptet ihr Management, aber wie kann das sein? Yamasaki argwöhnt, dass Laney vielleicht weiß, warum sie fort ist oder wo sie sich befindet, und nicht zuletzt deshalb hat Yamasaki beschlossen, hierher zurückzukommen und ihn aufzusuchen. Er hat alles Erdenkliche getan, um nicht ver-75
    folgt zu werden, aber er weiß auch, dass das so gut wie gar nichts besagt.
    Der Geruch der Tokioter U-Bahn, so vertraut wie der Geruch der Wohnung seiner Mutter, beruhigt ihn jetzt. Es ist ein absolut charakteristischer und zugleich unmöglich zu beschreibender Geruch. Es ist der Geruch des japanischen Teils der Menschheit, dem er sich sehr stark zugehörig fühlt, manifestiert in dieser ein-zigartigen Umgebung, dieser Welt der Tunnels, der weißen Korri-dore und wispernden Silberzüge.
    Er findet den Gang zwischen den beiden Rolltreppen, die gefliesten Säulen. Halb glaubt er, dass die Behausungen fort sein werden.
    Aber sie sind noch da, und als er eine weiße Mikropore-Maske aufsetzt und den hell erleuchteten Verschlag des Modellbauers be-tritt, hat sich nichts geändert außer dem Bausatz, auf den der Alte sich jetzt konzentriert: ein vielköpfiger Dinosaurier mit Roboter-Hinterbeinen in Marineblau und Silber. Die Pinselspitze arbeitet im Auge eines Reptilienkopfes. Der alte Mann blickt nicht auf.
    »Laney?«
    Stille hinter dem Rechteck der melonengelben Decke.
    Yamasaki nickt dem alten Mann zu, kriecht auf Händen und Knien an ihm vorbei und schiebt das Einkaufsnetz samt Inhalt vor sich her.
    »Laney?«
    »Pst«, sagt Laney aus dem engen, stinkenden Dunkel. »Er spricht gerade.«
    »Wer spricht?« Yamasaki schiebt den Beutel an dem schlaffen, mit Schaumstoff gefüllten Stoff vorbei, der sein Gesicht streift – eine Berührung, die ihn an den Kindergarten erinnert.
    Als Yamasaki hereinkommt, aktiviert Laney einen Projektor in dem klobigen Datenhelm; die Bilder, die er sieht, spülen über Yamasaki hinweg und blenden ihn. Yamasaki windet sich, um dem Strahl auszuweichen. Er sieht Gestalten, eingerahmt von

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