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FutureMatic

FutureMatic

Titel: FutureMatic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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kann.
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    Angetrieben von etwas, was er als Zwang identifiziert, tritt Fontaine einen Schritt vor. Sein Finger spannt sich um den Double-Action-Abzug. Aus Sicherheitsgründen ist die Kammer unter dem Schlagbolzen leer, aber er braucht nur einmal rasch durch-zuziehen, dann ändert sich das.
    Sieht aus wie Edelstahl. Schwarzes Zifferblatt.
    Fontaine betrachtet die schmutzigen schwarzen Jeans, die durchgescheuerten Laufschuhe und das verschossene rote T-Shirt, das sich über einen typischen von Unterernährung aufgedunse-nen Bauch spannt.
    »Willst du mir die zeigen?«
    Der Junge schaut auf die Armbanduhr in seiner Hand und deutet dann auf die drei im Schaufenster.
    »Klar«, sagt Fontaine, »wir haben Armbanduhren. Jeder Art.
    Willst du sie sehen?«
    Der Junge blickt ihn an. Sein Finger ist immer noch auf die Uhren gerichtet.
    »Komm«, sagt Fontaine, »komm rein. Kalt hier draußen.« Er hält die Waffe noch in der Hand, aber sein Finger hat sich entspannt. Er tritt in den Laden zurück. »Kommst du?«
    Nach einer Pause folgt ihm der Junge. Er hält die Armbanduhr mit dem schwarzen Zifferblatt, als wäre sie ein kleines Tier.
    Ist garantiert Müll, denkt Fontaine. Eine Army-Waltham mit verrostetem Innenleben. Idiotisch. Idiotisch von ihm, dass er diesen Irren rein gelassen hat.
    Der Junge steht mit starrem Blick in der Mitte des winzigen Ladens. Fontaine macht die Tür zu, schließt sie nur einmal ab und zieht sich hinter seinen Tresen zurück – alles, ohne die Waffe zu senken, in Reichweite seines Besuchers zu kommen oder ihn aus den Augen zu lassen.
    Der Junge macht große Augen, als er das Auslagekästchen mit den Uhren sieht. »Eins nach dem anderen«, sagt Fontaine und schiebt das Kästchen mit der freien Hand aus seinem Blickfeld.
    »Lass mal sehen.« Er zeigt auf die Uhr in der Hand des Jungen.
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    »Hierher«, befiehlt er und tippt auf das verblasste goldene Rolex-Logo auf der dunkelgrünen, gepolsterten runden Kunstleder-unterlage.
    Der Junge scheint zu verstehen. Er legt die Uhr auf die Unterlage. Fontaine sieht das Schwarze unter den rissigen Fingernä-
    geln, als er die Hand zurückzieht.
    »Shit«, sagt Fontaine. Seine Augen streiken. »Geh mal eben ‘nen Schritt zurück, dahin«, sagt er und zeigt ihm mit dem Lauf der Smith & Wesson dezent die Richtung. Der Junge tritt einen Schritt zurück.
    Ohne den Blick von dem Jungen zu wenden, kramt er in der linken Seitentasche des Trenchcoats und bringt eine schwarze Lupe zum Vorschein, die er sich ins linke Auge schraubt. »Und keine Bewegung, okay? Wir wollen doch nicht, dass die Knarre hier losgeht...«
    Fontaine nimmt die Armbanduhr in die Hand, kneift die Augen zusammen und erlaubt sich einen raschen Blick durch die Lupe.
    Stößt unwillkürlich einen Pfiff aus. »Jaeger-LeCoultre.« Er öffnet die Augen zu einem prüfenden Blick; der Junge hat sich nicht ge-rührt. Er kneift die Augen wieder zusammen, schaut sich diesmal die Militärsignatur am Rückdeckel der Uhr an. »Royal Australian Air Force, 1953«, übersetzt er. »Wo hast du die geklaut?«
    Nichts.
    »Die ist so gut wie neu.« Fontaine ist mit einem Mal völlig verwirrt. »Zifferblatt ausgetauscht?«
    Nichts.
    Fontaine blinzelt durch die Lupe. »Alles original?«
    Fontaine will diese Uhr haben.
    Er legt sie auf die grüne Unterlage, auf das abgenutzte Symbol einer goldenen Krone, und stellt fest, dass es sich bei dem schwarzen Kalbslederarmband um eine Spezialanfertigung handelt; es ist per Hand um die fest zwischen den Bandanstößen veranker-ten Stifte vernäht. Allein schon diese Arbeit, die seiner Ansicht nach entweder in Italien oder Österreich ausgeführt worden ist, 70
    kann durchaus mehr gekostet haben als manche der Uhren in seinem Auslagekästchen. Der Junge nimmt sie sofort an sich.
    Fontaine stellt ihm das Auslagekästchen hin. »Schau her. Willst du tauschen? Hier, eine Gruen Curvex. Tudor >London<, 1948; hübsches originales Zifferblatt. Oder die hier, Vulcain Cricket, vergoldetes Gehäuse, sehr sauber.«
    Aber er weiß bereits, dass sein Gewissen ihm nicht erlauben wird, dieser verlorenen Seele die Uhr zu rauben, und dieses Wissen schmerzt ihn. Fontaine hat sich sein Leben lang bemüht, Un-redlichkeit zu kultivieren, »clevere Praktiken«, wie sein Vater es genannt hat, aber er versagt ständig.
    Der Junge beugt sich über das Auslagekästchen. Fontaine hat er völlig vergessen.
    »Hier«, sagt Fontaine, schiebt das Kästchen beiseite und stellt ihm dafür sein ramponiertes

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