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FutureMatic

FutureMatic

Titel: FutureMatic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Tong!«
    Die Türen schwangen auf. Rydell nahm an, dass die Musik jetzt beim Höhepunkt angelangt wäre, wenn er sie nicht abgeschaltet hätte.
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    Virtuell hatte das Büro des Notars die Ausmaße eines olympi-schen Schwimmbeckens, aber es mangelte an Details. Rydell zoomte mit Hilfe des Wipptastenfelds seiner Brille direkt auf den Schreibtisch, der ungefähr so groß wie ein Billardtisch und im gleichen billigen Holzlook gerendert war. Darauf lagen einige nichts sagende, metallisch aussehende Gegenstände und ein paar Blatt virtuelles Papier.
    »Wofür steht das F. X.?«, fragte Rydell.
    »Francis Xavier«, antwortete Tong, der sich als eine Art Comic-figur präsentierte: ein kleiner Chinese mit ausdruckslosem Gesicht, weißem Hemd, schwarzer Krawatte und schwarzem Anzug.
    Die schwarzen Haare und der schwarze Anzug waren in der gleichen Textur gerendert, ein seltsamer Effekt, den Rydell für unbe-absichtigt hielt.
    »Ich dachte, Sie hätten vielleicht was mit Film zu tun«, sagte Rydell, »quasi so ‘ne Art Spitzname: FX, >Spezialeffekte<, stimmt’s?«
    »Ich bin Katholik«, erwiderte Tong in neutralem Ton.
    »Sollte keine Beleidigung sein«, sagte Rydell.
    »Das habe ich auch nicht so aufgefasst«, sagte Tong. Sein Pla-stikgesicht glänzte ebenso wie seine Plastikaugen.
    Man vergisst immer, wie mies dieses Zeug aussehen kann, wenn man nicht richtig damit umgeht, dachte Rydell.
    »Was kann ich für Sie tun, Mr. Rydell?«
    »Hat Laney Ihnen das nicht gesagt?«
    »Laney?«
    »Colin«, sagte Rydell. »Leerzeichen. Laney.«
    »Und... ?«
    »Sechs«, sagte Rydell. »Null. Vier. Zwo.«
    Tongs Plastikaugen wurden schmal.
    »Berry.«
    Tong schürzte die Lippen. Durch ein breites Fenster hinter ihm sah Rydell die Skyline von Hongkong, in einer anderen Auflö-
    sung.
    »Berry«, wiederholte Rydell.
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    »Danke, Mr. Rydell«, sagte der Notar. »Mein Klient hat mich er-mächtigt, Ihnen diese siebenstellige Identifikationsnummer zu geben.« Ein goldener Füllfederhalter erschien in Tongs rechter Hand, wie bei einem Anschlussfehler in einem Studentenfilm. Es war ein sehr großer, kunstvoll gerenderter Füller mit wirbelnden Drachen, deren Schuppen eine höhere Auflösung hatten als alles andere in der Site. Wahrscheinlich ein Geschenk, dachte Rydell.
    Tong schrieb die sieben Ziffern auf eins der virtuellen Blätter und drehte es dann auf dem Schreibtisch um, damit Rydell sie lesen konnte. Der Füller war auf dieselbe unnatürliche Weise verschwunden, wie er erschienen war. »Bitte wiederholen Sie diese Nummer nicht laut«, sagte Tong.
    »Warum nicht?«
    »Wegen der Verschlüsselung«, sagte Tong nebulös. »Sie können sich die Nummer aber in aller Ruhe einprägen.«
    Rydell sah sich die sieben Ziffern an und begann, eine Eselsbrücke zu entwerfen. Schließlich fand er eine, die auf seinem Ge-burtstag, der Anzahl der Staaten bei seiner Geburt, dem Sterbe-alter seines Vaters und einem mentalen Bild von zwei Dosen 7-Up basierte. Als er sicher war, dass er sich die Nummer eingeprägt hatte, blickte er zu Tong auf. »Wo kriege ich den Kreditchip?«
    »An jedem Bankautomaten. Haben Sie eine Bild-ID?«
    »Ja.«
    »Dann sind wir fertig.«
    »Eins noch«, sagte Rydell.
    »Was denn?«
    »Sagen Sie mir, wie ich hier raus komme, ohne dass ich durch Ihren Korridor zurück muss. Ich will einfach direkt raus, okay?«
    Tong musterte ihn mit ausdruckslos-höflicher Miene. »Klicken Sie auf mein Gesicht.«
    Rydell tat es; er beschaffte sich mit dem Wipptastenfeld einen Cursor, der wie eine neongrüne Comic-Hand geformt war, und richtete ihn auf Tongs Gesicht. »Danke«, sagte er, als Tongs Büro sich zusammenfaltete.
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    Er befand sich im Korridor und schaute in die Richtung, aus der er gekommen war.
    »Verdammt«, sagte Rydell.
    Die Musik setzte ein. Er drückte auf dem Wipptastenfeld herum und versuchte sich zu erinnern, wie er die Musik vorhin aus-geschaltet hatte. Da er jedoch eine GPS-Ortung der nächsten Bankautomaten haben wollte, stöpselte er die Brille nicht aus.
    Er klickte aufs Ende des Korridors.
    Das Klicken schien eine metastasierende Welle von Bitf äule auszulösen. All die faden Texture-Maps wurden neu geschrieben, aber in einer noch merkwürdigeren Handschrift: Der rote Tep-pichboden wurde graugrün und bekam einen seltsamen, ungleichmäßigen Flor, wie etwas auf dem Boden einer monatealten Tasse Kaffee, während der Bordellmarmor der Wände sich in eine feuchte Fischbauchblässe verwandelte und die Wandleuchter trübe

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