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FutureMatic

FutureMatic

Titel: FutureMatic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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wie abgesoffene Totenkerzen glommen. Tongs pseudoklassisches Thema klang mit einem Mal hohl und kaputt, sonderbare Bass-töne kamen knapp über der Unterschallschwelle dahergerumpelt.
    Das alles dauerte ungefähr eine Sekunde, und Rydell brauchte vielleicht noch eine weitere Sekunde, bis er auf den Gedanken kam, dass da jemand Wert auf seine ungeteilte Aufmerksamkeit legte.
    »Rydell.« Es war eine jener aus vorgefundenen O-Tönen gebastelten Stimmen: Sprache, zusammengeschustert aus durch Wol-kenkratzerschluchten pfeifendem Wind, dem Knirschen des Eises auf den Großen Seen, dem Lärm von Laubfröschen in Südstaa-tennächten. Rydell hörte solche Stimmen nicht zum ersten Mal.
    Sie gingen einem auf die Nerven, was ja auch ihr Zweck war, und tarnten praktischerweise auch noch die Stimme des Sprechers.
    Vorausgesetzt, der Sprecher hatte überhaupt eine Stimme.
    »He«, sagte Rydell, »ich wollte mich bloß raus klicken.«
    Ein virtueller Bildschirm erschien vor ihm, ein Rechteck mit abgerundeten Ecken, dessen Dimensionen das kulturelle Paradig-ma von Fernsehschirmen aus dem 20. Jahrhundert heraufbeschwö-
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    ren sollten. Darauf ein in seltsamem Winkel aufgenommenes, monochromatisches Bild eines riesigen, dunklen Raumes, in den von oben trübes Licht einfiel. Leere. Ein Gefühl von Verfall und hohem Alter.
    »Ich habe wichtige Informationen für Sie.« Der Vokal im Sie erinnerte an eine Sirene, die mit einem Dopplereffekt vorbeisauste und dann verstummte.
    »Also«, sagte Rydell, »wenn Ihre Mittelinitialen >F. X.< sind, machen Sie sich aber wirklich ganz schön Arbeit.«
    Es gab eine Pause. Rydell starrte auf die Abbildung oder Übertragung des toten, leeren Raumes auf dem Bildschirm. Er wartete darauf, dass sich dort etwas tat; wahrscheinlich war es aber eben der Sinn der Sache, dass sich nichts rührte.
    »Sie sollten diese Information sehr ernst nehmen, Mr. Rydell.«
    »Ich bin todernst«, sagte Rydell. »Schießen Sie los.«
    »Benutzen Sie den Bankautomaten im Lucky Dragon, in der Nähe der Zufahrt zur Brücke. Dann legen Sie Ihre Identifikation bei der GlobEx-Filiale hinten im Laden vor.«
    »Warum?«
    »Dort liegt etwas für Sie.«
    »Tong«, sagte Rydell, »sind Sie das?«
    Aber er bekam keine Antwort. Der Bildschirm verschwand, und der Korridor sah wieder so aus wie zuvor.
    Rydell hob die Hände und zog das Mietkabel aus der brasilianischen Brille.
    Er blinzelte.
    Ein Coffee Shop in der Nähe des Union Square, einer dieser Läden mit Topfpflanzen und Hotdesks. Die ersten Büroangestell-ten standen schon nach Sandwiches an.
    Er erhob sich, klappte die Brille zusammen, steckte sie in die Innentasche seiner Jacke und nahm seinen Matchbeutel.
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INTERSTITIELL
    hevette geht an der farblosen Flamme des Holzkohlenfeuers C eines Kastanienverkäufers vorbei, pulvriges Grau, das sich in der umgedrehten, v-nasigen Kühlerhaube irgendeiner Uraltkalesche selbst verzehrt.
    Die Erinnerung an ein anderes Feuer wird wach: die Koksglut der Esse eines Schmieds, angefacht von der Abluft eines Staub-saugers. Der alte Mann neben ihr mit der Kette eines ausgestor-benen Motorrads in der Hand, die er ordentlich zu einer kom-pakten Masse zusammengefaltet und mit einem Stück rostigen Draht umwickelt hatte. So dass der Schmied sie mit seiner Zange packen und in die Esse legen und das noch glühende Ding schließ-
    lich zu einem Block des seltsam körnigen Damaststahls zurecht-hämmern konnte, wobei schemenhafte Spuren der Kettenglieder zum Vorschein kamen, während die Klinge geschmiedet, gelöscht, geformt und auf der Scheibe poliert wurde.
    Sie fragt sich, was aus diesem Messer geworden ist.
    Sie hatte zugesehen, wie der Hersteller ein Messingheft angefertigt und erhitzt, wie er laminierte Platinenst ücke drangenietet und auf einem Schleif band geformt hatte. Die starren, spröde wirkenden Platinen aus etlichen in grünes Phenolharz eingeschlos-senen Materialschichten waren überall auf der Brücke zu finden; auf den Mülldeponien lagen sie en masse herum. Jede Platine wies Muster aus mattiertem Metall auf, die an Städte und Straßen erinnerten. Wenn sie von den Ausschlachtern kamen, waren sie mit Komponenten bestückt, die sich mit einem Schweißbrenner, der das graue Lötzinn schmolz, leicht entfernen ließen. Die Kom-103
    ponenten fielen ab, und übrig blieben die versengten grünen Platinen mit ihren eingeschweißten Folienplänen imaginärer Städte, Überreste des zweiten Elektronikzeitalters. Und Skinner hatte ihr

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