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FutureMatic

FutureMatic

Titel: FutureMatic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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und sehr wahrscheinlich auch dem »Anzug« selbst – verborgen.
    Laney ist zwar mit anderen Dingen beschäftigt, aber ihm 137
    kommt doch der Gedanke, dass es ziemlich schlecht um ihn, Laney, bestellt sein muss, wenn er den »Anzug« als seinen prä-
    sentableren Vertreter zum Drugstore schickt.
    Und das ist natürlich auch so, aber angesichts der nilbreiten Datenflut, die ihn fortwährend durchströmt, von einem inneren Horizont zum anderen, scheint es ihm kaum von Bedeutung zu sein.
    Laney ist sich jetzt bewusst, dass er namenlose Fähigkeiten besitzt. Formen der Wahrnehmung, die es vorher vielleicht noch gar nicht gegeben hat.
    Er nimmt zum Beispiel auf unmittelbare räumliche Weise etwas wahr, was der Totalität der Infosphäre sehr nahe kommt.
    Er empfindet sie als eine einzige unbeschreibliche Form, etwas, was für ihn wie in Brailleschrift vor einem undefinierbaren Unter-oder Hintergrund steht, und sie schmerzt ihn so wie – in den Worten der Dichterin – die Welt Gott. Er erspürt in ihr Potenzialitäts-knoten im Verlauf von Linien, die Historien des Geschehenen auf dem Wege zum Noch-nicht sind. Er ist einer Sichtweise sehr nahe, glaubt er, in der Vergangenheit und Zukunft ein und dasselbe sind; seine Gegenwart kommt ihm zunehmend beliebig vor, wenn er gezwungen ist, wieder in sie zurückzukehren; ihre Position in der Zeitlinie, die Colin Laney ist, scheint ihm eher in praktischen Dingen begründet als durch ein absolutes Jetzt definiert zu sein.
    Laney hat sein Leben lang das Wort vom Tod der Geschichte gehört, doch nun, konfrontiert mit der wahren Form alles menschlichen Wissens, aller menschlichen Erinnerung, begreift er allmählich, dass es so etwas in gewissem Sinn eigentlich nie gegeben hat.
    Keine Geschichte. Nur die Form, und die setzt sich aus kleineren und immer kleineren Formen zusammen, ein spiralförmiger fraktaler Abstieg bis in die allerfeinsten, die unendlich feinen Auflösungen hinein.
    Aber es gibt den Willen. »Zukunft« ist dem Wesen nach plura-lisch.
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    Und deshalb beschließt er, nicht zu schlafen, und schickt den »Anzug« noch mehr Regain holen, und als der Mann unter der melonenfarbenen Decke hindurch hinauskriecht, bemerkt er, dass dessen Knöchel in einer Imitation schwarzer Socken mit so etwas wie Asphalt bemalt sind.
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BAD SECTOR
    hevette kaufte sich an einem Karren auf der oberen Ebene Czw ei Hähnchen-Sandwiches und machte sich wieder auf die Suche nach Tessa.
    Der Wind hatte gedreht und sich dann gelegt, und mit ihm die Anspannung vor dem Sturm, diese merkwürdige Erregung.
    Unwetter waren eine ernste Angelegenheit auf der Brücke.
    Schon ein böiger Tag erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass jemand zu Schaden kam. Bei aufkommendem Wind kam man sich auf der Brücke wie auf einem Schiff vor, das felsenfest im Grund der Bucht verankert war, aber gegen diese Verankerung an-kämpfte. Die Brücke selbst bewegte sich in Wirklichkeit nie, ganz gleich, was passierte (obwohl Chevette vermutete, dass sie sich bei dem Erdbeben bewegt haben musste, denn deshalb wurde sie ja nicht mehr für ihren eigentlichen Zweck benutzt), aber alles, was später hinzugefügt worden war, das alles konnte sich durchaus bewegen, und wenn man Pech hatte, tat es das auch – mit ka-tastrophalen Folgen. Aus diesem Grund also rannten die Leute umher, wenn Wind aufkam, und überprüften Spannmuttern, Flugzeugkabel, zweifelhafte Geflechte von Fichtenholzkonstruk-tionen ...
    Skinner hatte ihr das alles eher nebenher als in Form richtiger Vorträge beigebracht, obwohl er durchaus so seine Art gehabt hatte, Vorträge zu halten. Einer hatte davon gehandelt, wie es hier gewesen war in der Nacht, als die Brücke von den Obdachlosen besetzt worden war. Wie es gewesen war, die Absperrungen aus Maschendrahtzaun zu erklimmen und umzustürzen, die errichtet 140
    worden waren, nachdem der Verkehr wegen der von dem Erdbeben angerichteten Schäden an der Struktur der Brücke eingestellt werden musste.
    Nicht so lange her, nach Jahren gerechnet, aber eine Art Le-benszeit, was den Charakter eines Ortes betraf. Skinner hatte ihr Fotos gezeigt, wie die Brücke vorher ausgesehen hatte, aber sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass da keine Menschen drauf wohnten. Er hatte ihr auch Zeichnungen von älteren Brücken gezeigt, Brücken mit Geschäften und Häusern drauf, und das erschien ihr sehr vernünftig. Wie konnte man eine Brücke haben und nicht daraufleben?
    Sie war gern hier, gestand sich das jetzt im

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