FutureMatic
über bewusst reduzierte Kanäle von an-derswoher zu kommunizieren scheint. Er ist schlank und von der Alterslosigkeit der alternden Reichen; sein langes Gesicht zeigt keinerlei Anspannung. Die von archaischen Brillengläsern vergrößerten Augen stehen nur selten still. »Warum tust du so, als würdest du dich nicht für diesen ehemaligen Polizisten interessieren, der den Schauplatz deiner jüngsten Aktivitäten besucht?«
An seinem Handgelenk fangen Gold und Titan das Licht ein; irgendeine Multifunktionsspielerei mit komplizierten Displays.
»Ich tu nicht so.« Auf dem großen Flachbildschirm links vom Schreibtisch zeigen vier Kameras aus unterschiedlichen Blick-winkeln einen hoch gewachsenen, stämmig wirkenden Mann, der mit gesenktem Kinn dasteht und vor sich hin zu sinnieren scheint. Die Kameras dürften kaum größer als Kakerlaken sein, 227
aber die Auflösung der vier Bilder ist trotz der unzureichenden Beleuchtung ganz ausgezeichnet. »Wer hat die Kameras dort platziert?«
»Meine cleveren jungen Dinger.«
»Warum?«
»Wegen ebendieser Möglichkeit: dass jemand den Schauplatz dieser beiden nicht weiter erwähnenswerten Todesfälle besucht und dort herumsteht und nachdenkt. Sieh ihn dir an. Er denkt nach.«
»Er sieht unglücklich aus.«
»Er versucht, sich vorzustellen, wer du bist.«
»Das stellst du dir nur vor.«
»Allein schon die Tatsache, dass er den Weg zu dieser Stelle gefunden hat, deutet auf Wissen und ein Motiv hin. Er weiß, dass dort zwei Männer gestorben sind.«
Unter den diversen Modellen auf Harwoods Schreibtisch steht eins in glänzendem Rot und Weiß, inklusive funktionierender Mini-Bildschirme in dem charakteristischen Mast. Winzige Bilder bewegen und verändern sich dort im Flüssigkristall.
»Gehört dir die Firma, die dieses Ding gebaut hat?« Er deutet mit dem Zeigefinger auf das Modell.
In die eigenartig fernen Augen hinter Harwoods Brille tritt ein Ausdruck der Überraschung. Dann Interesse. »Nein. Wir beraten sie. Wir sind eine PR-Firma. Wir haben sie bezüglich der Erfolgs-aussichten beraten, glaube ich. Die Stadt haben wir auch beraten. «
»Es ist schrecklich.«
»Ja«, sagt Harwood, »in ästhetischer Hinsicht bin ich ganz deiner Meinung. Auch die städtischen Behörden hatten diese Sorge.
Aber unsere Studien deuteten darauf hin, dass es dem Spaziergänger-Tourismus förderlich wäre, wenn es dort platziert würde, und das ist ein wesentlicher Aspekt der Normalisierung.«
»Normalisierung?«
»Es gibt ein kontinuierliches Bestreben, die Brückengemein-schaft sozusagen in den Schoß der Gemeinde zurückzuführen.
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Aber das ist ein heikles Thema. Im Grunde eine Imagefrage, und da kommen wir natürlich ins Spiel.« Harwood lächelt. »Solche autonomen Zonen gibt es in einer ganzen Reihe größerer Städte, und wie eine Stadt mit der Situation umzugehen beschließt, kann drastische Auswirkungen auf ihr Image haben. Kopenhagen beispielsweise war eine der Ersten und hat es sehr gut gemacht. At-lanta wäre wohl das klassische Beispiel dafür, wie man es nicht machen soll.« Harwood blinzelt. »Es ist unsere moderne Version der Boheme.«
»Der was?«
»Der Boheme. Alternative Subkulturen. Sie waren ein zentraler Aspekt der industriellen Zivilisation in den letzten beiden Jahr-hunderten. In ihnen kam die industrielle Zivilisation zum Tr äumen. Sie waren so eine Art unbewusste Forschungs-und Ent-wicklungsabteilung, die alternative gesellschaftliche Strategien erforschte. Jede hatte eine Kleiderordnung, charakteristische Formen des künstlerischen Ausdrucks, eine oder mehrere Lieblings-drogen und einen Kodex sexueller Wertvorstellungen, der mit jenem der Gesamtkultur über Kreuz lag. Und sie hatten häufig ganz bestimmte Orte, mit denen sie in Verbindung gebracht wurden.
Aber sie sind ausgestorben.«
»Ausgestorben?«
»Wir haben sie gepflückt, bevor sie reifen konnten. Eine entscheidende Wachstumsphase ging verloren, als sich das Marketing entwickelte und die Mechanismen der Rückführung in den Markt immer schneller und raubgieriger wurden. Authentische Subkulturen brauchten vom gesamtgesellschaftlichen Entwick-lungsprozess abgekoppelte Gebiete und Zeit, aber solche Gebiete gibt es nicht mehr. Sie sind den Weg der Geografie im Allgemeinen gegangen. Autonome Zonen bieten zwar auch eine gewisse Isolation von der Monokultur, scheinen sich aber nicht oder jedenfalls nicht auf dieselbe Weise zur Rückführung in den Markt zu eignen. Wir wissen nicht genau,
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