Fyn - Erben des Lichts
tot gegolten hatte. Manchmal war es besser, wenn man etwas nicht wusste.
Wir verließen den Wald und stießen auf eine etwas breitere Straße. Frische Wagenspuren zeugten von regelmäßigem Gebrauch. Es handelte sich um einen Seitenarm der Hauptader, die Calanien von Norden nach Süden durchzog. Im Norden endete sie an den Ufern des Celwas, der landläufig als die Grenze moderner Besiedlungsformen galt. Alles, was dahinter lag, war für die meisten Bewohner Elvars ein unbeschriebenes Blatt. Unwichtig, was Handel und Landwirtschaft anging und deshalb nicht wert, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, geschweige denn, eine Reise dorthin zu unternehmen. Breanor hatte mir einmal erklärt, dass die Böden im Norden unfruchtbar seien, das Klima rau und die Wege bis nach Elvar zu weit, um eine größere Stadt zu gründen. In Nordcalanien lebten überwiegend Menschen, die sich selbst versorgten und damit schon genügend Probleme hatten, als dass sie noch an Handel denken konnten. Ich vermutete, es lag vielleicht auch an der Dunkelheit , die Menschen und Alven von jeher davon abgehalten hatte, den Norden eingehend zu erforschen. Man wusste nur wenig vom Ende der Welt, aber man erzählte sich, dass die Dunkelheit in der Lage wäre, einen zu verschlingen und auf ewig zu verdammen, in völliger Finsternis umherzuirren. Breanor hatte einst versucht, die Beschaffenheit und Herkunft der mysteriösen schwarzen Wand zu erforschen. Das wusste ich, weil ich einige seiner alten Aufzeichnungen gesehen hatte. Doch er gab das Projekt irgendwann auf, zumindest, soweit es mir bekannt war. Die Dunkelheit blieb ein Rätsel, ein Meisterwerk der Magie, deren Sinn irgendwo in der Geschichte verloren gegangen war.
»Wie weit in den Norden willst du gehen?«, fragte ich. Mir wurde bei dem Gedanken an die Nähe der Dunkelheit unwohl.
»Wir gehen so weit, wie es nötig ist. Vermutlich kommen wir recht nahe ans Ende der Welt heran. Ich möchte sicher sein, nie wieder jemandem begegnen zu müssen, der mich kennt. Außerdem habe ich die Nase voll davon, mich als Diener eines anderen zu verdingen.«
Obwohl Ylenias Worte den Anschein erweckten, als wüsste sie noch nicht genau, wohin uns unsere Reise führen würde, hatte ich das unbestimmte Gefühl, dass ihr sehr wohl ein genaues Ziel vorschwebte. Ihre Augen funkelten wissend, und sie wich meinen Fragen aus, sowohl was die Planung der Reise als auch ihre Pläne für die Zukunft anging. Ich ließ es darauf beruhen. Je weiter ich mich von meiner Heimat entfernte, desto befreiter fühlte ich mich. Es war Zeit, an ein neues, ein anderes Leben zu denken. Ein Leben, in dem niemand bestimmte, was ich zu tun hatte. Ylenia hatte recht. Wir waren lange genug die Diener eines anderen gewesen. Obwohl meine Natur gemeinhin von mir verlangte, alles bis ins Detail zu planen und den Dingen auf den Grund zu gehen, unterdrückte ich diesen Drang mit Trotz. Alles würde sich von nun an verändern, und ich nahm mir fest vor, meine zahlreichen Ticks hinter mir zu lassen, ebenso wie den Gestank von Elvar.
Es gelang mir mit mäßigem Erfolg. Schon bald sehnte ich mich nach einem Bad, ich ekelte mich vor mir und meiner schmutzigen Kleidung. Der Dreck, der mich umgab, stellte meinen Reinlichkeitszwang auf eine harte Probe. Das Einzige, das mich zum Durchhalten animierte, war Ylenia, die sich nie beklagte, obwohl sie stets eine reinliche und adrette Frau gewesen war. Ich musste meine Marotten hinter mir lassen, kostete es, was es wollte. So rang ich meinen Ekel nieder und setzte einen Fuß vor den anderen.
Wir marschierten den ganzen Vormittag auf der schlecht ausgebauten Straße, und ich war einige Male geneigt, querfeldein bis zur großen Hauptader zu gehen, nur um meinen Füßen etwas Gutes zu tun. Doch Ylenia hatte mir eindringlich zu verstehen gegeben, dass Elvar noch zu nahe war und demnach die Gefahr bestand, dass jemand mich sah und erkannte. Immerhin galt ich offiziell als tot. Ein seltsamer Gedanke. Ich war tot . Fynrizz, den Elitesoldaten des Königs, gab es nicht mehr. Stattdessen war ich Evan, der Begleiter einer Wahrsagerin auf Wanderschaft. Ich würde mich damit abfinden müssen.
Wir wanderten durch eine idyllische Landschaft, die Luft war rein und roch nach Erde. Ein klarer Tag mit idealen Temperaturen für einen Spaziergang. Wäre unser Anliegen nicht so ernst gewesen, hätte ich glatt Gefallen an unserer Reise gefunden. Nun gut, die Schuhe passten mir nicht richtig und drückten an der Ferse. Auch das Hemd
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