Fynia - wo die Schafe sterben gehen (Fantasy-Roman) (German Edition)
aber die Küche. Ich sagte ich hätte etwas in seinem Zimmer vergessen, was der Wahrheit ziemlich nahe kam. Ich wollte nämlich das Heft noch einstecken. Ich behandelte das blaue, ziemlich zerschlissene Heft nicht gerade freundlich. Ich ließ meine aufgestauten Wutgefühle an dem leblosen Objekt aus und faltete es so klein es ging und ließ es in einer Jackentasche verschwinden. Als ich wieder in die Küche kam, war Allan fertig mit packen und wartete nur noch auf mich.
Gemeinsam schlenderten wir durch die Felder.
"Wo wollen wir denn Essen?", fragte Allan.
"Ich weiß nicht, dahinten ist eine verlassene Kuhwiese.", antwortete ich und deutete in die Richtung, in der auch der Unterstand von Zweiundsiebzig war. Vielleicht nahm das Schaf ja die Gelegenheit wahr und "beschnupperte" Allan mal.
Das Picknick war toll. Wir redeten sehr ausgelassen und ich erzählte ihm sogar von Jasper. Wenn wir so ungezwungen waren, vergaß ich zwischendurch einfach mal, weswegen ich mich eigentlich mit ihm abgab. Und dann war es geschehen. Ich war mitten drin mich über Jasper aufzuregen. Natürlich konnte ich ihm nicht alles erzählen und wie und warum, aber Allan schien mir einfach nur zuhören zu wollen.
Er nickte an den richtigen Stellen, gab qualifizierte Kommentare von sich, wenn ich eine Pause machte und pflichtete mir bei, wenn ich ihn fragte ob ich richtig gehandelt hätte. Es war fast zu perfekt. Doch dann wurde unsere Zweisamkeit gestört. Allans Blick wurde plötzlich hart und so folgte ich ihm, bis ich auf Zweiundsiebzig stieß, die bis auf ein paar Meter an uns herangetreten war und uns anstarrte, wie es nur Schafe können.
"Was ist los?", fragte ich verwirrt, bis mir wieder klar wurde, dass Familie Goodie ein Problem mit Schafen hatte. Beinahe hätte ich mir die Antwort auf meine Frage selbst gegeben, aber Allan war schneller, zum Glück. Denn kurz darauf fiel mir wieder ein, dass er ja nicht wusste, dass ich Zweiundsiebzig vor seinen Eltern gerettet hatte.
"Ich mag Schafe nicht. Schau doch wie sie gucken. Ich weiß gar nicht, wieso unsere Vorfahren sie verehrt haben. Ich finde sie gruselig." Er sah mich erst hart, dann aber verunsichert an. "Ist schon irgendwie bescheuert, oder? Es sind ja nur Tiere…"
Ich fragte mich, wie viel er wirklich wusste. Ob er sich im Klaren darüber war, dass Zweiundsiebzig jedes seiner Worte verstand, oder ob er einfach nur instinktiv ihre Intelligenz fürchtete.
"Ach was, ich finde Schafe auch seltsam. Sie sind ein wahres Rätsel für mich." Ich sprach extra so laut, dass Zweiundsiebzig mich hören konnte, und achtete nicht auf Allans fragenden Blick.
Zweiundsiebzig kam näher, was Allan Unbehagen bereitete. Er war im Begriff aufzustehen, als das Schaf ihn mit dem Kopf in die Kniekehlen stieß und so zu Fall brachte. Er verschüttete seinen heißen Kakao auf mein Oberteil.
"Oh Mist! Blödes Vieh!" Er machte Anstalten nach Zweiundsiebzig zu treten, aber diese war schon weit weg gelaufen. "Es tut mir so leid… Willst du nach Hause und dich umziehen?" Er versuchte unbeholfen mein T-Shirt zu säubern, ohne mir dabei zu nahe zu kommen.
"Ja ähm… wäre 'ne gute Idee… Du kannst kurz mitkommen.", sagte ich abwesend und tupfte mit einem Taschentuch die brauche Suppe aus meinem Dekolleté.
Ich hatte eigentlich gedacht, dass ich den ganzen Tag in James Zuhause herumhängen würde, vielleicht seinen Computer dazu benutzen würde E-Mail abzurufen und irgendwo online Browserspiele zu spielen. Aber gegen Mittag drängte mich mein schlechtes Gewissen immer wieder Richtung Fynia. Zuerst nur gedanklich, weil keine Sekunde verging, in der ich mir keine Vorwürfe machte. War ich zu hart gewesen? Konnte sie mir verzeihen? Sollte ich mich entschuldigen? Wäre doch nur James hier, dann könnte er mir helfen…
Diese Gedanken quälten mich bis in die Nachmittagsstunden. Ich wälzte die verschiedenen Möglichkeiten in meinem Kopf hin und her. Endschuldigen oder eine Entschuldigung einfordern? Klein beigeben oder die Beziehungskarte ausspielen? Gab es überhaupt noch eine Beziehung, die zu retten war?
Ich musste es herausfinden, also fuhr ich, ohne mich dessen wirklich bewusst zu sein, wieder zum Haus von Fynias Eltern. Innerlich hoffte ich fast, sie wäre nicht dort, aber dann wallte der Zorn in mir auf. Wenn sie nicht dort war, wäre sie sicher bei Allan und das könnte ich nicht ertragen. Sie sollte zuhause sein und sich die Seele aus dem Leib weinen. Das wäre das Richtige, dann hätte
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