Fynia - wo die Schafe sterben gehen (Fantasy-Roman) (German Edition)
gerade konnte ich das nicht. Ich war selbst vom Leben enttäuscht, in mehrfacher Hinsicht. Aber so krass wie die, wollte ich auch nicht sein. Deswegen schenkte ich dem netten Mann in schwarzem T-Shirt hinter der Theke ein schüchternes Lächeln. Er sah ein wenig aus wie Vin Diesel in seinen jungen Jahren.
Der Barkeeper ließ sich seitlich gegen den Tresen sinken und zwinkerte mir zu. Ich errötete und verlor vollends den Faden von Tante Ritas Schimpftiraden über die bösen Männer.
Flirtete der Vin Diesel Verschnitt etwa mit mir? Ich musste mich etwas zur Seite lehnen, um ihn ganz sehen zu können. Er stand direkt in der Ecke, die der Tresen machte, und putze die Gläser. Wie klischeehaft! Aber war das nicht die Chance, auf die ich gewartet hatte? Ein Neuanfang? Ein bisschen flirten kann da ja nicht schaden.
Ich lächelte ihm wieder zu und rückte meinen Hocker so, dass ich für Tante Rita immer noch so wirkte, als hörte ich ihr zu, aber heimlich mit dem Barkeeper flirten konnte.
Ich dachte so bei mir, als er ein Glas mit Vodka-Cola füllte, dass er wahrscheinlich oft angeflirtet wurde und bestimmt viele Abenteuer erlebt hatte.
Wollte ich wirklich eine von denen sein? Früher hatte ich diese Weibchen immer verabscheut, doch jetzt fand ich den Gedanken gar nicht mehr so absurd.
Mr. Diesel stellte das gefüllte Glas ab, sah mich mit funkelnden Augen an und schubste es gekonnt auf dem Tresen an Tante Rita vorbei in meine Hände. Wie im Film! Ich sah ihn mit großen Augen an, hob das Glas auf Lippenhöhe und prostete ihm verstohlen zu.
"Wann haste das denn bestellt? Raymond! Ich will auch noch ein bisschen Ethanol!" Rita sprach, gelinde ausgedrückt, sehr laut. Der Barkeeper nickte Rita höflich zu und füllte ein Pinnecken mit einer bunten Flüssigkeit. Auch diesen ließ er gekonnt schwungvoll über den Tresen sausen.
"Danke Ray, bist ‘nen Schatz!" Rita warf ihm einen Luftkuss zu, lachte aufgedreht und fuhr fort mit ihren Schimpftiraden über das Leben.
Ray, der Barkeeper, lächelte mich charmant an und zeigte Rita hinter ihrem Rücken eine Meise. Ich musste grinsen, typisches Mädchenverhalten, wie ich unwillkürlich feststellte. Ich spielte sogar unbewusst mit einer Locke herum, wie mir schlagartig klar wurde.
Nach einer kurzen Pause, in der ich meinen Blick wieder auf Rita richtete und ihr aufmunternd zunickte, da sie einen aufgebrachten Eindruck machte, sah ich aus den Augenwinkeln, wie Ray einen kleinen Zettel schrieb. Ich nahm einen großen Schluck meiner gepanschten Cola. Der Zettel wurde unter einer kleinen Schale mit Hähnchenflügeln verstaut, die hier als Snacks serviert werden. Er ließ extra eine kleine Ecke unter dem Schälchen hervorgucken, damit ich den Zettel bloß nicht übersah. Dann zwinkerte er mir wieder zu und ließ das Tablett mit der Schale über die Theke huschen. Neugierig hob ich die Schale an, warf noch einen Blick auf Ray, der mir aufmunternd zulächelte, und las den Zettel:
Hab um 12 Schluss
Kuss Ray
Einen Moment wusste ich mit dieser Information nichts anzufangen. Dann ging mir ein Licht auf. Ich erstarrte. Nun war der Moment gekommen, an dem ich entscheiden musste, ob ich solch ein Weibchen sein wollte, wenn auch nur für eine Nacht.
"Was hasse denn da, süße?" Rita hatte den Zettel bemerkt, den ich noch immer ohne jegliche Entscheidungsfreude anstarrte.
"Süß, da hat wohl jemand n’ Auge auf dich geworf’n! Lass ma’ seh’n." Sie grapschte mir den Zettel aus der Hand und musterte ihn genau. Ich sah erschrocken zu Ray hinüber und bedeutete ihm, dass ich nichts machen konnte. Er sah mich nur lächelnd an und zuckte mit den Schultern.
"Das sieht mir ganz nach uns’rem Schwerenöter Raymond aus! Da hasse dir aber einen geangelt, Schätzchen!", kommentierte Rita den Zettel und gab ihn mir mit einem vielsagenden Blick zurück. Mittlerweile war ihre Aussprache jenseits von Gut und Böse angelangt und ich musste mich anstrengen sie zu verstehen.
Wie benommen starrte ich erst sie, dann den Zettel an, während Frau Rita sich zu Ray umgedreht hatte und ihm irgendwelche Zweideutigkeiten zurief. Als sie sich wieder umgedreht hatte, begann sie mir zu erklären, wie man sich verhalten sollte, wenn man etwas Bestimmtes erreichen wollte.
Ich hörte wieder nur halb hin, mein Blick war wieder zu Ray gehuscht. Er sah mich fragend an, als ob er eine Antwort erwartete. Um Zeit zu schinden, nippte ich noch mal an meinem Getränk.
Nun war der Moment wirklich
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