Fynia - wo die Schafe sterben gehen (Fantasy-Roman) (German Edition)
manchmal unglaubliche Träume? Träume, in denen du fliegen kannst und gegen Monster kämpfst? In denen du eigentlich sterben müsstest, aber keinen Schmerz spürst?“ Sie sah mich immer noch nicht an.
„Ja…“ Ich harrte der Dinge, die da nun kommen wollten.
„Das alles könntest du.“
„Fliegen?“, fragte ich verwirrt.
„Dummerchen. Nicht fliegen. Nicht so, wie du meinst. Du kannst Grenzen überwinden, die sich die Menschen nicht mal vorstellen können.
Die Menschen sind schon jetzt, schon lange, in der Lage in einer völlig friedlichen Welt zu leben. Sie sind in der Lage jedem zu vergeben, der schlimme Dinge getan hat und sie opfern sich selbst zu Gunsten eines wildfremden Menschen. All das ist ihnen von Geburt an gegeben.
Aber ihr vergesst es einfach…
Ihr habt Angst vor dieser Kraft und verschließt euch vor ihr. Ihr könnt euren Feind lieben. Ihr könnt eine Freundschaft mit dem Hass schließen, die keine Zerstörung hervorruft. Aber ihr vergesst im Laufe eures Lebens, wie das funktioniert.“
Ich starrte das Schaf nur an. Na klar, ich verstand, worum es ihr ging. Jedenfalls dachte ich das.
Kinder.
Kinder sehen die Welt mit so unverschleiertem Blick und lieben und hassen in völlig reiner Form. Aber wie kann mir das helfen? Wie soll das überhaupt jemandem helfen? Die Menschen, und allem voran ich, sind nicht für solch ein Leben geschaffen…
„Oh Fynia, kleiner Wolf.“ Zweiundsiebzig machte eine Pause und sah mich das erste Mal seit längerer Zeit wieder an, „es ist einfacher, als du denkst. Die ganze Welt ist von Grund auf so viel simpler gestrickt. Ihr seid es, die sie so… verkomplizieren.“ Insofern ein Schaf dazu in der Lage war, sah Zweiundsiebzig mich mit krauser Stirn und einem Anflug von Unverständnis an. Oder war es Mitleid?
„Ich verstehe dich… und auch nicht.“, antwortete ich, „es ist so… klar und deutlich, was du sagen willst, aber wenn ich versuche es zu tun, dann ist es so schrecklich kompliziert und fast unmöglich.“
„Ja, das ist wahr.“ Nun war ich perplex. Ich sah Zweiundsiebzig fragend an. Erst sagt sie, es ist alles so einfach und dann ist es kompliziert, obwohl es einfach ist.
Ist das nicht zu kompliziert?
„Wenn nur alle Menschen so wären wie du Fynia…“, murmelte das Schaf und suchte sich eine andere Position zum Liegen.
„Pff… Dann wäre die Welt verloren…“, murmelte ich und rollte mit den Augen.
„Ja, das ist wahr.“ Zweiundsiebzig streckte sich genüsslich, wobei ihre alten Knochen laut knackten.
„Sag mal, Zweiundsiebzig“, begann ich nach einer kurzen Pause, in der ich versuchte den Sinn ihrer Worte zu begreifen, aber leider scheiterte, „...machst du das mit Absicht? Diese widersprüchlichen Aussagen? Diese Andeutungen, die mir irgendwie gar nichts bringen, aber immer etwas bewirken, das ich nicht verstehe?
Hat das alles einen höheren Sinn, oder bin ich nur eine Puppe in einem Spiel höherer Mächte?
Habe ich überhaupt sowas wie eine Chance? Habe ich überhaupt die Möglichkeit mein Leben selbst zu bestimmen?
Oder ist alles von vornherein abgesteckt und ich kann nichts anderes tun als mich willenlos meinem Schicksal zu ergeben und auf die Gnade der Götter zu hoffen?“, sprudelte es aus mir heraus. Ich wusste selbst nicht, was ich für eine Antwort erwartet hatte, aber gewiss nicht diese:
„Ja.“
„Ja?“
„Ja.“
„Hä? Zu was denn?“ Ich wusste nicht, ob ich verzweifelt oder wütend sein sollte. Verzweifelt, weil ich anscheinend zu dumm für diese ganze Sache war. Wütend, weil Zweiundsiebzig mir wohl absichtlich so einen Quatsch weiß machen wollte.
„Zu allem, kleiner Wolf. Einfach zu allem.“
Ich stöhnte hörbar auf und Zweiundsiebzig sah mich mit schief gelegtem Kopf an.
„Das ist unmöglich…“, murmelte ich nun halb verzweifelt und halb belustigt.
„Ja.“
„Okay, ich gebe es auf, altes Schaf, du hast gewonnen…“
Ich verbrachte den ganzen Tag bei Zweiundsiebzig. Wir redeten über Allan, aber wir kamen nicht so recht weiter.
Es schien sich immer alles im Kreis zu drehen. Nichts ergab Sinn. Manchmal kam es mir aber auch so vor, als ergab jede Möglichkeit, die wir sponnen, einen Sinn. Manchmal schien jede Überlegung logischer als die andere.
Zweiundsiebzig war einfach keine große Hilfe. Immer, wenn ich dachte die Wahrheit entdeckt zu haben, warf sie eine Bemerkung ein, die mich wieder in eine andere Richtung lenkte, als wolle sie mich absichtlich
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