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Fynia - wo die Schafe sterben gehen (Fantasy-Roman) (German Edition)

Fynia - wo die Schafe sterben gehen (Fantasy-Roman) (German Edition)

Titel: Fynia - wo die Schafe sterben gehen (Fantasy-Roman) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Fricke
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nicht erkennen.
    Das blaue Licht pulsierte neben mir wie lebendes, flüssiges Gas oder gasförmiges Wasser. Ich versuchte es zu berühren, aber es war, als gäbe es das Licht nicht. Es verhielt sich eben wie Licht. Doch es war nicht warm und nicht kalt, nicht flüssig und nicht fest, aber es war da und wirkte so lebendig… 
    Plötzlich zuckte erneut ein Blitz vor meinen Augen auf, erhellte die ganze Szene am Fuße des Masts, gefolgt von einem Donner, der meinem Schrecken bestmöglichen Ausdruck verlieh.
    „Zweiundsiebzig!“, rief ich einer puscheligen Gestalt am Fuß des Sendemasts zu, doch sie reagierte nicht. 
    „Hey! Zweiundsiebzig!“, versuchte ich es erneut. So dumm konnte sie doch nicht sein! Sie durfte nicht sterben, solange der Mast kaputt war.
    „Du dummes Schaf!“, rief ich zornig und begann zu rennen.
    Als ich aber näher kam und noch einmal rufen wollte, blieb mir die Stimme im Halse stecken. Das war nicht Zweiundsiebzig!
    Dort stand ein alter Bock, umhüllt von dem blauen Licht, und blickte am Mast hinauf. Sowas wie Glück oder Zufriedenheit lag in seinem Ausdruck.
    Ich fühlte mich wie versteinert, meine Kehle war wie zugeschnürt und meine Beine festgewachsen im staubigen Boden des Hofes.
    „Der nächste Blitz wird es sein… der nächste Blitz…“, hörte ich den Bock mit einer fast menschlichen Stimme, die so alt klang wie die Welt selbst sagen, „komm schon, nur einen Schritt näher…“ Redete er mit mir? Nein, der Bock sah immer noch in den Himmel und wartete, wartete auf seinen Untergang.
    „Nein…“, flüsterte ich.
    Mir musste es doch möglich sein, etwas zu tun, ihn zu retten. Er konnte bei Zweiundsiebzig warten, bis ich den ganzen Schlamassel hier aufgelöst hatte, aber er durfte jetzt nicht sterben…
    „Hey!“, meine Stimme fand ihre ursprüngliche Kraft wieder, „hey! Bock! Tu das nicht. Bitte! Komm zu mir. Der Mast ist kaputt, komm her!“ Ich setzte mich wieder in Bewegung, doch ich wusste in der gleichen Sekunde, dass es zu spät war. Es passierte so schnell.
    Das Blau um den Bock verhärtete sich zu Felsen aus Licht. Es schien für den Bruchteil einer Sekunde stillzustehen und bewegte sich dann wieder. Schneller und schneller schien sich das Pulsieren auszubreiten. Es erfasste den ganzen Körper des Tieres und schien sogar in sein Innerstes einzudringen. Es durchströmte ihn vollkommen.  
    Dann wurde die Nacht erhellt. Fast zeitgleich mit dem unheilvollen Donnern und binnen weniger Sekunden, während eines Wimpernschlages, war er weg.  
    Ich kniff die Augen zusammen. In meiner Netzhaut hatte sich das Bild des Bocks eingebrannt. Sein Gesicht, so völlig glücklich und zufrieden mit allem, unwissend, was mit ihm geschah. 
    Das blaue Licht unter meinen Liedern funkelte in einem komplementären orangenen Farbton. Ich öffnete die Augen rechtzeitig, um zu sehen, was mit dem Teil der Weltenseele geschah, das der Bock in sich getragen hatte:
    Es schien, als habe sich das blaue Licht gefüllt mit der Essenz des Bocks, mit seiner Seele. Das Licht transportierte diese Essenz, die nicht mehr vom blauen Licht zu unterscheiden war, nach oben, den Sendemasten hinauf.  
    Ich wollte meine Augen wieder schließen, denn es näherte sich der kaputten Stelle, aber ich konnte nicht. Ich sah, wie etwas Furchtbares passierte.
    Das blaue Licht flackerte und ich spürte Schmerz. Es war ein fremder wilder Schmerz, der Schmerz des Bocks, als die Seele versuchte aus der kaputten Stelle auszutreten, zu fliehen. Doch sie wurde gefangen gehalten. 
    Es sah nicht sehr spektakulär aus, doch ich spürte, wie es sich anfühlte zerrissen zu werden. Ich fühlte das Wissen in mir, dass etwas Wichtiges im Begriff war, für immer verloren zu gehen.
    Alleine dabei zuzusehen, wie die kaputte Stelle des blauen Lichtes glühte und leuchtete, wie ein weißes Licht daraus hervortrat, blitzte und zuckte, mit einer unsichtbaren Macht zu ringen schien und mal hell und mal tiefschwarz aussah. Alleine das mit anzusehen schien mich fast um den Verstand zu bringen.
    Ich fühlte mich, als würde ein Teil meiner selbst weggenommen und vom Nichts verschluckt.
    Dann war es vorbei.
    Ich fühlte mich leer. Einfach vorbei. Der Himmel war noch genau so dunkel wie zuvor, doch Donner und Blitz schienen sich zu entfernen und ließen mich mutterseelenalleine zurück. Wie ein verletztes Tier, das nicht im Stande war, seine Wunden zu lecken. Wie ein alter Mensch, dessen Erinnerungen von Demenz zerfressen waren und nur noch

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