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Fynia - wo die Schafe sterben gehen (Fantasy-Roman) (German Edition)

Fynia - wo die Schafe sterben gehen (Fantasy-Roman) (German Edition)

Titel: Fynia - wo die Schafe sterben gehen (Fantasy-Roman) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Fricke
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diese eine schreckliche Erinnerung kannte: wie ihn alles verließ.
    Der Regen prasselte unerschütterlich auf mich hernieder. Mein Fell klebte an meiner Haut, juckte und stank erbärmlich.
    Hätte ich Tränen gehabt, hätte ich geweint. Wegen des schrecklichen Gefühls in mir und wegen dem Leid, das der Welt angetan wurde. Von dem keiner etwas weiß, außer die wenigen Eingeweihten.
    Ich stand so lange dort, bis der Regen anfing nachzulassen. Doch Trauer und Angst überschütteten mich weiterhin. War es das? War es das, was ich verhindern musste? Was so viel wichtiger war, als eine einfache Beziehung zwischen zwei Menschen?
    Verdammt, musste das hier erst passieren, bis ich das verstehen konnte?
    Ich starrte weiterhin auf die Stelle am Sendemast, wo die Seele des Bocks - der Welt - ihr Ende gefunden hatte. 
    „Du solltest jetzt mit mir gehen.“, hörte ich eine Stimme aus weiter Ferne an mein Ohr dringen. Als hätte ich Watte in den Ohren. So dumpf klang die Stimme, so unwirklich, als käme von aus einem verzerrten Tonband, das man seit Jahren nicht mehr abgespielt hatte.
    „Fynia… kleiner Wolf… komm mit mir…“ Etwas stupste mich in die Seite, doch ich regte mich nicht. Ich konnte nicht. Ich konnte diesen Platz nie wieder verlassen. Als wäre meine Seele hier gefangen. Als sei sie die Nächste, die gehen müsste. 
    „Fynia komm mit, sonst musst du bleiben.“ Die Stimme zitterte aber sie sprach so klar und deutlich wie noch nie.
    „Fynia, ich befehle dir, mich zu begleiten!“, forderte sie. Nie hatte ich eine klarere Ansage bekommen, nicht von ihr…
    „Jetzt!“ Ihre Stimme schien plötzlich so nahe, als wäre sie in meinem Ohr, in meinem Kopf, so laut…
    Ich bewegte ein Bein, dann das Zweite, als letztes meinen Kopf. In meinem Nacken knackte etwas, als ich den Blick vom Sendemast löste und das alte Schaf neben mir erblickte.  
    Das blaue Licht war längst verschwunden und der Mond hatte sich zwischen einzelnen Gewitterwolken behaupten können.
    „Komm jetzt…“, Zweiundsiebzigs Stimme klang wieder sanfter, als wüsste sie, dass ich den stummen Kampf in mir gewonnen hatte.
    Sie ging einfach los, ohne mich auch nur noch eines Blickes zu würdigen und ich folgte ihr, schweigsam wie die Sterne, dessen Licht vom Grauen der Nacht verschluckt wurde.
     
    „Hast du das gesehen?“, fragte ich, als wir am Unterstand angekommen waren. Die Leere in mir schien sich zu füllen, bis sie nicht mehr da war, aber auch nichts in mir war.
    „Natürlich, schon zu oft.“, erwiderte Zweiundsiebzig müde. Sie ließ sich sichtlich erschöpft in die einzige trockene Ecke des Unterstandes fallen. In meinem Elend hatte ich ihres ganz vergessen und den Unterstand noch nicht repariert.
    „Es war… schrecklich.“, stotterte ich in Ermangelung eines passenderen Begriffs.
    „Es war mehr als das.“, erwiderte das Schaf ohne jede Emotion in der Stimme.
    „Es war Mord.“, sagte ich.
    „Es war mehr als das.“, wiederholte sie.
    „Es war… es war…“, stammelte ich, ohne zu wissen, was ich sagen sollte.
    „Genau.“ Das Schaf sah mich aus tiefen, getrübten Augen an, „das darf nie wieder passieren.“ Es war kein Befehl, hatte aber eine ähnliche Wirkung auf mich. 
    „Wie konnte das passieren? Ich dachte alle Schafe sein untereinander verbunden!“, rief ich aus.
    „Sind wir. Alle wissen davon, aber es ist ein starker Instinkt. Wir müssen sterben und wiedergeboren werden. Nur wenige können sich dagegen wehren. Es ist sehr stark.“, erklärte das Schaf. Sie wirkte jetzt gerade in dieser Situation unglaublich alt. Mitleid stieg in mir auf. Wie konnte ich nur so egoistisch sein?
    „Aber… es darf nicht passieren…“, murmelte ich.
    „Natürlich nicht, deswegen gibt es ja dich.“
    „Mich? Aber ich kann nicht. Ich habe versagt, merkst du das nicht?“ Ich wurde lauter. 
    „Du kannst, erinnerst du dich? Du kannst so viel mehr, als du denkst.“
    „Hör auf mit diesem mystischen Scheiß! Ich habe gerade gesehen, wie ein Leben ausgelöscht wurde! Wie eine Seele für immer verloren gegangen ist, was schlimmer ist als jeder Tod auf der Welt zusammen! Ich konnte es nicht verhindern…
    Ich hätte es verhindern können, aber ich konnte nicht, verstehst du? Ich habe alles falsch gemacht! Ich habe all das in Gang gesetzt…
    Würde ich nicht existieren, wäre alles besser, dann wäre alles gut! Es ist alles meine Schuld!“, schrie ich. Ich machte meiner ganzen Wut, meiner Angst und meiner Verzweiflung platz.

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