Gabe der Jungfrau
gehen und einen Becher heißen Wein trinken.«
Zustimmend nickte Heinrich und folgte dem Landsknecht.
Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, öffnete Gerhild die augen. Ihr Herz schlug laut. Wie konnte dieser Mann es wagen, sie einfach gegen eine andere austauschen zu wollen? Und nicht nur das! Er verkuppelte sie sogleich mit Heinrich, den sie nicht einmal in ihr Bett lassen würde, wenn er der letzte Mann auf Erden wäre.
»Einen Sohn will er zeugen!«, murmelte sie verbittert vor sich hin, »aber nicht mit mir!«
Wütend stieg sie aus dem Bett, wickelte sich nur das Betttuch um ihren nackten Körper und ging leise in den Raum unter Johanns Gemach.
Anna Maria lag schlafend auf einem Strohlager. Gerhild hielt mit der einen Hand das Tuch um sich geschlungen und mit der anderen griff sie nach dem brennenden Kienspan. Der Schein der Flamme erhellte die ebenmäßigen Gesichtszüge der jungen Frau.
Gerhild betrachtete die langen Wimpern, den geschwungenen Mund, die makellose Haut.
»Du bist wahrlich ein hübsches Ding«, flüsterte sie. »Ich sollte dich zu meiner Freundin machen! Nur so werde ich erfahren, wer du tatsächlich bist und was du hier willst. Gerhild stellte vorsichtig den Kienspan zurück und schlüpfte hinaus.
Seit die Wolfsjäger anna Maria auf Burg Nanstein zurückgelassen hatten, waren mehr als zwei Wochen vergangen.
Anna Maria wurde erlaubt, den Raum unter dem Gemach des Landsknechts zu bewohnen. Die junge Frau bat ihn, ihr Pilgerstab und Beutel zu bringen, denn beides hatte er im Verlies zurückgelassen.
Als Johann ihr den Stab übergab, achtete anna Maria auf den ausdruck auf seinem Gesicht. aber er verzog keine Miene und
fragte auch nicht nach dem eingeritzten Zeichen. ›Entweder hat er es noch nicht bemerkt oder er kennt das Symbol nicht‹, dachte sie.
Ihr war zwischenzeitlich gestattet worden, sich auf dem Burghof aufzuhalten, obwohl die Gefährten des Landsknechts Bedenken geäußert hatten. auch durfte sie mit den anderen Bewohnern von Nanstein im großen Saal speisen. Trotzdem fühlte sie sich eingesperrt.
Tagsüber verbrachte sie die meiste Zeit auf der Burgmauer und schaute in die Ferne. So auch an diesem Tag.
Auf ihren Pilgerstab gestützt sah anna Maria zum Himmel empor. Inzwischen war es Ende November, und es war merklich kalt geworden.
›Sicher wird es nicht mehr lange dauern, bis der erste Schnee fällt‹, dachte sie verzweifelt und spürte, wie sie sich verkrampfte und ihr übel wurde. Das Unwohlsein kam stets, wenn sie daran dachte, dass die Zeit nutzlos verrann. auch ängstigte sie der Gedanke, dass sie eines Nachts im Schlaf einen ihrer Brüder vor sich sehen würde und von ihm abschied nehmen müsste. Deshalb zögerte sie es lange hinaus, sich schlafen zu legen – wie damals, als sie ihre Gabe das erste Mal zu Hause in Mehlbach wahrgenommen hatte. Und wie damals zeichnete sich auch jetzt der mangelnde Schlaf deutlich in ihrem Gesicht ab.
Der Landsknecht, dem die Veränderung nicht entgangen war, führte anna Marias schlechtes aussehen auf ihre Prophezeiungen zurück. Sie hatte ihm erklärt, sie brauche sehr viel Kraft für ihre Bilder. Um nicht täglich von ihm bedrängt zu werden, machte sie ihm glaubhaft, dass sie für die ausübung ihrer Gabe außerdem ungestört sein müsse.
Anna Maria nutzte die Zeit, in der sie allein war, um nachzudenken, wie sie von der Burg fliehen könnte. Zwar durfte sie sich auf dem Hof frei bewegen, doch war sie nie allein – stets waren Bewacher in der Nähe, die sie beobachteten, stets bereit einzugreifen, sollte sie einen Fluchtversuch wagen.
Als anna Maria wütend gegen die zerstörte Mauer trat, fragte eine Stimme sanft: »So verzweifelt!«
Anna Maria musste sich nicht umdrehen um zu wissen, dass Gerhild hinter ihr stand. Mehrmals hatte sich das Weib zu ihr gesellt und mit ihr gesprochen. Sie tat besorgt und hatte sich stets nach anna Marias Befinden erkundigt.
»Ich habe dir frisches Hefegebäck mitgebracht.« Gerhild lächelte die junge Frau an. Dankend nahm anna Maria den noch warmen Kuchen entgegen und biss ein Stück ab.
Gerhild blickte anna Maria forschend ins Gesicht. Dunkle Ränder lagen unter ihren tiefblauen, aber geröteten augen. Ihre Haut wirkte fahl, und sie sah müde aus.
»Hast du nicht gut geschlafen?«, fragte Gerhild mit besorgter Stimme. Sie ahnte, dass anna nicht krank war, doch sie schien bedrückt. ›Ich wäre auch nicht freudig gestimmt, wenn man mich auf einer Burg festhalten würde‹,
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