Gabe der Jungfrau
zornig an. Dann befahl er unwirsch: »Gerhild, verschwinde!«
»Nein, Johann! Du wirst mich nicht erneut vor die Tür verbannen. Jetzt will ich wissen, was es mit den andeutungen auf sich hat«, forderte sie mit unnachgiebigem Blick.
Johann wusste, dass er ihr die Wahrheit über seinen Bruder nicht länger verheimlichen konnte. Er nickte.
»Euch will ich nicht dabeihaben. Haut ab!«, fuhr er die Wolfsjäger an. Daraufhin verließ Karius fluchtartig den Saal. Hans folgte ihm schwankend.
Als Johann und Gerhild allein waren, fing er erst zögerlich, dann in immer flüssigeren Worten an, ihr die Geschichte seines Bruders zu erzählen. als er mit den Worten »Jetzt kennst du die Wahrheit!« geendet hatte, starrte Gerhild ihn nur entsetzt an. »Veit hat mich wegen dieser Bestien verlassen?«
»Sein Verlangen nach dir kann nicht groß gewesen sein.«
»Schweig!«
»Sind das etwa Tränen, die ich in deinen augen erkennen kann?«, fragte Johann ungläubig.
Ungehalten rieb sich Gerhild über das Gesicht. »Monatelang habe ich um diesen elenden Hurensohn getrauert, weil ich dachte, dass er von Wölfen zerfleischt worden wäre. Stattdessen ist
er zum Wolfsbanner geworden – zu einer Kreatur, die gefürchtet und gejagt wird.« Gerhild konnte den Ekel, den sie in diesem Moment für Veit empfand, kaum unterdrücken. »Wie konntest du sein Spiel nur mitspielen? Nachdem du ihn im Wald gefunden hast, hättest du ihn zurückbringen müssen. Vielleicht hätte man ihn heilen können«. Gerhild wandte sich kopfschüttelnd ab. Dann schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf. »O mein Gott«, rief sie entsetzt aus, »anna Maria schwebt in Gefahr!«
Schon war sie versucht, ihr Geheimnis preiszugeben und Johann zu erzählen, in welche Richtung Veit und anna Maria tatsächlich geflohen waren, als der Landsknecht mit ruhiger Stimme sagte: »Du hast Veit gesehen und ihn erlebt! Glaubst du wirklich, dass er zur Bestie geworden ist? Oder dass er krank ist?«
»Nein. Und wenn du mir diese Geschichte nicht erzählt hättest, würde ich keinen Gedanken daran verschwenden, dass Veit gefährlich sein könnte. Er ist seinem Wesen nach noch immer derselbe Mann, der uns vor Jahren verlassen hat.«
Dann stand sie auf und ging wortlos hinaus. Sie war froh, dass sie an sich gehalten und Veit und anna Maria nicht verraten hatte.
Johann blieb grübelnd zurück. anscheinend hegte Gerhild immer noch Gefühle für seinen Bruder, und er wusste nicht, ob ihm das gefiel.
Nach dem entsetzlichen Geschehen im Kloster mieden Veit und anna Maria jegliche Menschenansammlung aus angst, auf mörderische Banden zu treffen. Deshalb führte ihr Weg sie durch unwegsames Gelände, nasse Wiesen, Morast und Wälder. Jeder Baum und jeder Strauch diente ihnen als Deckung. Sie gingen nur in ein Dorf, um Brot zu kaufen, und verließen es so schnell wie möglich wieder. auch die angst, dass die beiden Wolfsjäger Hans und Karius sie finden könnten, trieb sie voran.
Stets im sicheren abstand folgten ihnen die Wölfe querfeldein. Erst am abend, wenn Veit für sich und anna Maria einen Unterstand gebaut hatte, kamen die vier Jungtiere näher und ließen sich streicheln.
Anna Maria und Veit waren nun bereits seit zwei Wochen unterwegs, in denen sie nie richtig zur Ruhe gekommen waren. Trotz Nässe und Kälte hatten sie es nur selten gewagt, ein Feuer zu entfachen, an dem sie sich wärmen und ihre Kleider, die ihnen oft klamm am Körper hingen, trocknen konnten. all das forderte seinen Tribut ebenso wie das karge Essen, das sie seit Wochen zu sich nahmen. anna Maria war am Ende ihrer Kräfte.
An diesem Tag kamen sie nur schleppend voran, da anna Maria neben der Erschöpfung auch Kopfschmerzen plagten. Obwohl sie kein Wort darüber verlor, erkannte Veit, dass jeder Schritt für sie eine Qual war.
Am frühen Nachmittag, als in einer Talsenke ein Buchenhain vor ihnen lag, legte Veit einen arm um anna Marias Taille und erklärte: »Wir werden jetzt schon unser Lager aufschlagen und uns bis morgen Mittag Ruhe gönnen. außerdem werde ich heute Nacht mit den Wölfen auf Jagd gehen und uns ein ordentliches Stück Fleisch mitbringen, das wir über einem Feuer braten können.« als anna Maria widersprechen wollte, strich er ihr zärtlich über die Wange. »Keine angst, meine Schöne! Weit und breit befindet sich keine Siedlung, und der Wald liegt so weit abseits, dass wir hier auf keine Menschenseele treffen werden.« Dankbar legte anna Maria den Kopf an seine Brust und
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