Gabe der Jungfrau
Kindern von dem Brot und dem Speck. Dann nahm sie anna Maria beim arm und zog sie einige Schritte von den Kindern fort. Mit brüchiger Stimme erklärte sie ihr dann: »Das ist mein Mann Martin. Er stirbt!«
Anna Maria glaubte, sich verhört zu haben, doch die Frau fuhr fort: »Vor zwei Tagen hat er sich beim Fällen einer dicken Kastanie mit der axt ins Bein geschlagen. Nun ist die Wunde entzündet und vereitert.«
»Aber Ihr könnt doch Euren Mann nicht einfach sterben lassen«, sagte anna Maria fassungslos.
Hilflos zuckte die Frau mit den Schultern. »Was soll ich machen? Niemand kam vorbei, der mir hätte helfen können. auch konnte ich die Kinder nicht bei Martin zurücklassen, um einen Heiler zu holen. Zudem habe ich nichts, womit ich ihn bezahlen könnte. Jetzt ist es zu spät. Martin wird Wundbrand bekommen und sterben. In ein paar Tagen wird ihn unser Herrgott zu sich nehmen.«
Wieder zerriss ein gequälter Laut die Stille des späten Nachmittags. Ein Schauer überlief anna Maria.
»So lange wollt Ihr hier draußen warten?«, fragte sie.
»Was soll ich machen?«, antwortete die Frau und setzte sich zu den Kindern ans Feuer.
Anna Maria überlegte nicht lange und legte Pilgerstab und Rucksack an der Tür ab. Ihren arm vor Nase und Mund gepresst, betrat sie die Hütte. Der widerliche Gestank, der ihr sogleich entgegenschlug, ließ sie beinahe wieder nach draußen stürmen, doch das Stöhnen des Mannes hielt sie davon ab. Zögernd schritt sie auf sein Krankenlager zu. Obwohl sie ahnte, dass er sie nicht hören würde, erklärte sie ihm, wer sie war.
Schweiß glänzte auf seinem Gesicht, das von Fieber gerötet war. Mit offenen augen starrte der Mann an die Decke, während er vor Schmerz wimmerte.
Sein Lager war so verschmutzt wie seine Kleidung. Vertrocknetes Blut klebte an der dünnen Decke, die er sich bis zum Kinn hochgezogen hatte, um sich vor der Kälte zu schützen. anna Maria hob das Laken an, was den Mann gequält aufschreien ließ. Beruhigend sprach sie auf ihn ein. Sie hatte sich nun an den Geruch gewöhnt, sodass sie den arm von Nase und Mund nehmen konnte.
Das Bein war angeschwollen, und die entzündeten Wundränder klafften auseinander. Eiter überdeckte die Wunde.
»Ich habe Martin einen Rabenschädel unter das Kopfkissen gelegt«, sagte die Frau, die plötzlich hinter anna Maria stand.
»Einen Rabenschädel?«
»Er soll vor Wundbrand schützen!«
Anna Maria glaubte nicht an Magie, schwieg jedoch.
»Die Wunde muss ausgewaschen werden, nur so kann man Wundbrand verhindern. Habt Ihr Lavendel oder Lavendelöl?«
Die Frau schüttelte den Kopf und fragte hoffnungsvoll: »Seid Ihr eine Heilerin?«
»Gott bewahre! Nein, aber ich habe vier Brüder, und fast täglich kam einer von ihnen mit Schrammen nach Hause.«
»Ich habe bereits versucht, ihm den Eiter abzukratzen, aber Martin hat so fürchterlich geschrien, dass sogar die Kinder weinen mussten.«
Mitfühlend blickte anna Maria erst die Frau und dann den Mann an.
»Gute Frau, es besteht nur Hoffnung, wenn die Wunde ausgewaschen und anschließend ausgebrannt wird.«
»Ihr seid eine Hexe!«, schrie die Frau leise, und ihre Stimme bekam einen schrillen Klang. »Ihr rührt meinen Mann nicht an!«
»Vermaledeit!«, schimpfte anna Maria. »Jetzt seid still! Ich will Euch helfen. außerdem muss ich mit Eurem Mann sprechen. Nur er kann mir den Weg zeigen!« anna Maria stutzte einen augenblick und beäugte die Frau kritisch.
»Oder kennt Ihr den Pfad der Wilderer und Schmuggler?« Hastig antwortete die Frau: »Nein! Ich habe nie davon gehört. Wo soll dieser Weg sein?«
»Wenn ich das wüsste, wäre ich nicht hier!«
Erneutes Stöhnen ließ die beiden Frauen zusammenfahren.
»Ich will noch Brot!«, sagte eine Stimme hinter ihnen. Kasper stand in der Tür und sah seine Mutter bittend an. Wortlos folgte sie dem Jungen nach draußen. auch anna Maria verließ die Hütte und nahm den Pilgerstab und ihren Beutel wieder auf. Mehrmals atmete sie tief ein und aus. Dann ging sie zum Feuerplatz, wo die Frau und ihre Kinder saßen. Sie setzte sich dazu und sagte: »Ich heiße anna Maria und komme aus Mehlbach. Ich bin auf der Suche nach meinen Brüdern, die ins Elsass unterwegs sind.« Mit wenigen Worten erklärte das Mädchen ihr anliegen.
Stumm hatte die Frau zugehört und erwiderte schließlich: »Mein Name ist Ruth, und das sind Kasper und Jäcklein. Wenn du uns helfen kannst, dann bitte ich dich aus tiefstem Herzen darum. Sollte Martin
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