Gabe der Jungfrau
sterben, wird der Grundherr uns das Land wegnehmen, und eine andere Familie wird die Kastanienstöcke ernten. Ich werde mit meinen Kindern betteln gehen müssen.«
Anna Maria betrachtete die daumendicken langen Stöcke, die zuhauf aufgeschichtet neben der Behausung lagen.
»Ist das Brennholz?«, wollte anna Maria wissen.
»Um Himmels willen!«, lachte Ruth bitter auf. »an den Kastanienstöcken werden die jungen Weinpflanzen angebunden. Wir pflanzen die Kastanien in den Boden, und wenn aus ihnen eine Pflanze wächst, wird sie geerntet, sobald der Stamm dick genug ist.«
Anna Maria sah der Frau fest in die augen: »Wie ich bereits sagte, wir müssen die Wunde ausbrennen.«
»Wie willst du das anstellen? Martin wird sich wehren, und ich habe nicht die Kraft, ihn festzuhalten.«
Anna Maria griff in ihren Beutel und zog die kleine Glasflasche hervor.
»Damit wird es gelingen!«
Fragend blickte die Frau das Mädchen an. anna Maria ahnte, was Ruth wissen wollte.
»Ich kann dir nicht sagen, aus welchem Kraut es gebraut wurde. Ich kenne nur seine Wirkung. Dein Mann wird nichts spüren. Sobald er davon getrunken hat, wird er tief schlafen. Dann können wir die Wunde behandeln. Wenn du kein Lavendelöl hast, dann werden wir das Bein mit Essig abwaschen.«
»Essig? Ja, den haben wir reichlich, um das übel schmeckende Wasser anzureichern.«
»Damit können wir auch das Gebräu verdünnen.«
»Kasper, hol den Essigkrug und einen Becher!«, forderte Ruth ihren Sohn auf.
Prüfend schaute sich anna Maria die Glut in der offenen Feuerstelle an. Wortlos reichte Ruth ihr das Messer, mit dem sie zuvor Speck für die Kinder geschnitten hatte. anna Maria steckte die Scheide tief in die glühenden Kohlen. Dann bat sie die Frau um ein sauberes Tuch, das sie in handbreite Streifen riss.
Kasper kam mit dem Essig und einem Becher zurück.
Wie anna Maria es bei ihrem Vater abgeschaut hatte, zählte
sie die Tropfen in den Becher und vermengte sie mit Essig und Wasser. Mit dem Zeigefinger rührte sie um.
Beide Frauen betraten angstvoll die Hütte. Martin hatte die augen geschlossen und atmete laut und unruhig.
Fragend blickte Ruth zu anna Maria, die sie mit ruhiger Stimme anwies: »Du fasst ihn an den Schultern und ziehst ihn hoch. Dann hältst du ihm die Nase zu, und wenn er wie ein Fisch nach Luft schnappt, flöße ich ihm das Gebräu ein.«
Auf Zehenspitzen ging Ruth um das Lager ihres Mannes herum und stellte sich ans Kopfende. als sie zögerte, befahl anna Maria ihr: »Beeil dich! Bald schwindet das Tageslicht.«
Mit dem Mut der Verzweiflung packte Ruth ihren Mann nun bei den Schultern und drückte ihn hoch. Sie lehnte sich gegen ihn, löste eine Hand und presste seine Nasenlöcher zusammen. als Martin nach Luft rang, schüttete anna Maria vorsichtig etwas von der Flüssigkeit in seinen Mund. Er schluckte. Die beiden Frauen wiederholten den Vorgang, bis anna Maria sicher sein konnte, dass er ausreichend Betäubungssaft getrunken hatte.
Die Tropfen wirkten rasch, und Martin begann gleichmäßig zu atmen. Erleichtert ließ Ruth ihren Mann los.
Vorsichtig wusch anna Maria die Wunde aus. Der Gestank wurde schlimmer, und mehrmals musste Ruth das Essigwasser erneuern. als die Wunde gesäubert war, prüfte anna Maria, ob Martin noch immer betäubt war. Beruhigt sagte sie zu Ruth: »Er schläft entspannt wie ein Kleinkind. Doch nun kommt der schwierigste Teil.«
Ruth verstand, was sie meinte, und folgte anna Maria nach draußen. Das Mädchen holte das Messer vorsichtig am Griff aus der Glut und klopfte die Messerscheide mehrmals auf einen Stein, damit die Holzkohle abfiel.
Ruths Kinder saßen am Feuer und schauten mit ängstlichen
augen zu. Um die Kinder abzulenken, sagte anna Maria: »Kaspar, in meinem Beutel sind Äpfel und Käse. Nimm dir und Jäcklein so viel davon, wie ihr möchtet.«
Erfreut über die seltenen Speisen, sprangen die beiden Jungen auf.
Dankend nickte Ruth anna Maria zu und folgte ihr mit den Leinenstreifen in die Hütte.
Ohne zu zögern presste anna Maria das glühende Eisen in die Wunde des Mannes. Der Geruch von verbranntem Fleisch verschlug den beiden Frauen den atem.
Wie damals bei Peter drang auch aus Martins Kehle ein langgezogener Wehlaut, sein Körper bebte und zuckte. Er wachte jedoch nicht auf.
Als anna Maria sicher war, dass die Wundränder sauber ausgebrannt waren, nickte sie Ruth zu, den Stoff auf die frische Wunde zu pressen. anschließend umwickelte anna Maria das Bein straff mit
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