Gabe der Jungfrau
gehört?«
Mit einem besonderen Glitzern in den augen forderte Hauser den Wirt auf: »Zeig ihm deine Hand!«
Stumm hielt der Dicke seine rechte Hand in die Höhe. Beide Schwurfinger fehlten. Nicht einmal einen Stummel hatte der Henker von den Fingern übrig gelassen.
»Wann?«, fragte Hauser, und man konnte Bewunderung aus seiner Stimme heraushören.
»Wenige Tage vor dem geplanten zweiten aufstand – es war kurz vor der Bienger Kirchweih anfang Oktober 1513, da verpfiff ein Verräter dem Marktgrafen von Baden den Plan des aufstandes. Die Obrigkeit fackelte nicht lang und schlug zu. Ein Teil der Bundschuhmitglieder wurde verhaftet, doch die meisten konnten fliehen. Über ein Dutzend der Festgenommen wurden hingerichtet, einigen die Schwurfinger abgehackt.« Der Gastwirt lachte bitter. »Sie glaubten, dass sie uns so davon abhalten könnten, uns erneut Joß Fritz anzuschließen und auf seine Fahne zu schwören. Sie wussten nicht, dass sie uns sogar die ganze Hand hätten abhacken können. Nein, auch das hätte uns nicht daran gehindert, zu Joß Fritz zu stehen. Zum Glück konnte Fritz fliehen, doch keiner wusste, wohin er entkommen war. Selbst Kilian und seine Männer konnten Joß nicht finden. Er war wie vom Erdboden verschluckt. Bis zum Spätsommer 1517. Damals verbreitete sich das Gerücht, dass Fritz ausgemusterte Landsknechte, Gaukler, Bettler, Hausierer, wandernde Handwerker – eben alle, die unauffällig und ungehindert das Land durchstreifen konnten – aufgefordert habe, als Werber von Ort zu Ort zu ziehen. Zwar gab es nie Beweise dafür, dass es in Wäldern und Schankwirtschaften geheime Zusammenkünfte gab. Man erzählte sich aber, dass angeblich Tausende Fritz gefolgt wären. Doch gesehen hat sie nie jemand.«
»Woher weiß man dann davon?«, fragte Peter mit vor aufregung hochroten Wangen.
»Ein unbedarftes Bäuerlein soll es unter der Folter gesagt haben, um dem Henker zu entgehen. Mehr weiß ich auch nicht. Joß Fritz wurde nie gefangen genommen, und ich habe ihn nie
wiedergesehen. Vielleicht ist auch er längst tot, denn er ist nicht mehr der Jüngste«, fügte der Wirt hinzu.
»Was waren das aufregende Zeiten!«, flüsterte Peter. »Nur zu gerne wäre ich einer von euch gewesen!«
Die beiden älteren Männer sahen sich wissend an. In ihren augen konnte man ablesen, dass sie auf ihre Vergangenheit stolz waren. Nach einigen augenblicken des Schweigens fragte Hauser den Wirt: »Hast du jemals die Fahne von Joß Fritz gesehen?«
»Nein! Es war bekannt, dass er sie nie aus der Hand gegeben hat und dass nur wenige das Banner zu Gesicht bekamen. ›Nur getragen auf dem Herzen bringt sie Glück‹, so sagte Joß Fritz stets. Warum fragst du?«
Hauser blickte Peter eindringlich an. Nach kurzem Zögern zog der Bursche die Fahnenhälfte unter seinem Hemd hervor.
Auf der Stirn des dicken Wirts sammelten sich Schweißperlen, und er war blass geworden. Er nahm das Tuch in beide Hände und hielt es gegen das trübe Licht der Talgkerze. Der seidige helle Stoff glänzte im Schein der kleinen Flamme. »Herr im Himmel!«, flüsterte der Dicke ergriffen. »Woher hast du sie?«
Peter erklärte es ihm stockend.
»Daniel Hofmeister«, flüsterte der Wirt. Nachdenklich blickte er Hauser an, doch der zuckte nur wortlos mit den Schultern. Der Dicke forschte in Peters Gesicht, fasste ihn am Kinn und besah sich sein Profil. Plötzlich ergriff er Peters Hände und zog auch die Hand des schlafenden Matthias’ vom Tisch.
Verständnislos blickten Peter und Hauser den Dicken an. Der fragte den Jungen atemlos: »Hat euer Vater ein Mal auf dem Handrücken? Ein schwarzes?«
Hauser schlug sich gegen die Stirn. Das Mal! Wie konnte er das Muttermal auf Fritz’ Handrücken vergessen. aufgeregt wandte auch er sich an den Jungen. »Hat dein Vater ein solches Mal?«
Peter begann zu zittern. Er wusste nicht, was er antworten
sollte. Die Wahrheit oder eine Lüge? Waren diese beiden Männer tatsächlich Freunde oder eher Feinde seines Vaters?
Sie wirkten angespannt und schienen ungeduldig auf seine antwort zu warten. Was würde die Wahrheit für die beiden alten Kämpfer bedeuten? Was würde die Wahrheit für ihn bedeuten?
Einige quälende augenblicke verstrichen, bevor Peter schließlich log: »Nein, mein Vater hat kein Mal auf seinem Handrücken.«
»Schade«, sagte der Wirt. »Es hätte mich gefreut zu hören, dass es unserem Joß gut geht.«
Hauser hingegen erwiderte nichts, sondern verfiel in nachdenkliches
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