Gabe des Blutes
nicht der Weg, um ihr Vertrauen zu gewinnen, nach dem er sich so sehnte.
»Danke für die Information. Du hast recht, sie würde niemanden wegschicken und lieber arbeiten bis zum Umfallen, wenn sie glaubt, dass es jemandem helfen könnte. Wahrscheinlich wäre es klug, ihr auch einen fähigen Gehilfen zur Seite zu stellen. Sie weiß vieles, was nichts mit ihren naturheilkundlichen Kenntnissen zu tun hat. Sie verfügt über ein großes Wissen, und es weiterzugeben, würde sie irgendwann entlasten.«
»Je weniger Verpflichtungen sie hat, desto besser. Prima zu sein ist schon Verpflichtung genug.«
»Dem widerspreche ich nicht«, stimmte Reule grimmig zu. »Doch ich möchte wetten, dass sie der Aufgabe gewachsen ist.«
»Ich würde mich lieber durch ein Lager von Schakalen jagen lassen, als dagegenzuwetten.«
Nachdem Reule Para und Drago zu sich gerufen und ihnen mitgeteilt hatte, welche wichtigen Veränderungen er wünschte, bevor die Gäste aus der Stadt eintrafen, ging er den Gang zu den Privatgemächern in seinem Turm entlang und betrat den Gemeinschaftsraum des Rudels. Sie spürten ihn kommen, so wie er sie ebenfalls spürte, weshalb sie alle standen, als er die Tür öffnete. Er blieb auf der Schwelle des großen Raumes stehen und betrachtete sie nacheinander. Jedes Mitglied stand vor seinem Lieblingsplatz. Die einzigen freien Stühle waren die von ihm und Amando.
Schließlich ging er hinein, wobei seine auf Hochglanz polierten schwarzen Stiefel auf dem Steinfußboden klackten, packte den goldenen Zeremoniendolch an seiner Taille und zog ihn aus der Scheide. Er trat direkt zum ersten leeren Stuhl, ließ sich auf ein Knie sinken, und mit einem Schrei stieß er die Klinge in den Sessel des gefallenen Weggefährten. Holz und Polsterung erbebten und krachten unter dem mächtigen Stoß, doch der Dolch blieb tief stecken, und der juwelenbesetzte Griff blitzte im Feuerschein, während sich der Primus von Jeth erhob und zurücktrat. Er verschränkte die Hände, spreizte die Beine und verbeugte sich. Er hörte, wie das Rudel es ihm gleichtat, und es herrschte einen ewigen Moment lang Stille, während sie darum beteten, dass Amando auf dem Weg in das warme Haus Gottes sei.
Der Sánge-Primus hatte seinen Dolch geopfert. Das war die höchste Ehre, eine Ehre, die jedes Rudelmitglied sich wünschen würde, wenn die Zeit gekommen wäre.
Dann wandte Reule sich zu ihnen um und sah sie mit scharfem und abschätzendem Blick an, einem Blick, der nicht das kleinste Detail übersehen würde, das ihm während der Tiefen entgangen war.
»Darcio, ich erwarte, dass du wieder an meiner Seite bist«, befahl er ihm unvermittelt und hob eine Braue, bis der Rudelgefährte nickte. »Geht es dir gut, Chayne?«
»Den Umständen entsprechend«, sagte der leise, und seine verhaltene Antwort war ein Zeichen dafür, welche Qualen er litt.
»Na gut. Wie ihr vielleicht schon wisst, hat meine Beziehung zu der Fremden, Mystique, eine neue Form angenommen. Ich habe sie gefragt, ob sie meine Prima werden möchte, und sie hat Ja gesagt.«
Bis auf Darcio fühlten sich alle, als wären sie in eine weitere elektrische Falle getappt. Alle waren völlig sprachlos, bis auf Rye: »Himmelherrgott noch mal! Bist du denn wahnsinnig?«, brach es aus ihm heraus.
Ryes Reaktion war offenbar schockierender als Reules Ankündigung, denn die ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf den Thronerben. Reule fühlte sich, als wäre er aus einem dreitägigen Koma erwacht. Er ging über den Ausbruch hinweg, obwohl er die Zähne fest aufeinanderbiss, um seine Wut zu zügeln.
»Das steht nicht zur Debatte«, sagte Reule stattdessen im kalten Tonfall eines Herrschers, der einen Affront durchgehen ließ, einen weiteren jedoch nicht dulden würde. »Die Verbindung wird heute Abend bei der Gedenkfeier für Amando verkündet, und der Gottesdienst findet Ende des Monats statt. Eure zukünftige Prima ist unerfahren und fremd und immer noch dabei, sich mit unserer Kultur vertraut zu machen. Ich erwarte, dass ihr sie weiterhin unterstützt. Aus diesem Grund, Chayne, ernenne ich dich vorübergehend zum Leibwächter der Prima.« Reule zog die Amtskette aus seiner Jacke, trat vor Chayne hin und hielt sie ihm auf den Fingerspitzen hin.
Chayne blickte verblüfft drein, und Reules Mundwinkel wanderten nach oben vor Belustigung.
»Mein Primus …« Chayne hielt inne, um sich zu räuspern. »Ich fühle mich geehrt, aber … ich fühle mich mehr als geehrt«, beteuerte er, »aber ich bin
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