Gabe des Blutes
Wachen oben auf der Mauer und in den Ausgucken hallte über ihre Köpfe hinweg. Reule lächelte, als sie den Jägern zujubelten, ohne überhaupt zu wissen, ob sie erfolgreich gewesen waren. Die mit den schärfsten Augen und dem wachsten Verstand verstummten als Erste, als sie Chaynes Pferd ohne Reiter und stattdessen zwei Reiter auf einem Pferd und eine unbekannte Gestalt bemerkten. Ganz zu schweigen davon, dass sie kein erlegtes Wild mitbrachten. Es sollte die letzte große Jagd vor Wintereinbruch sein und sie für die bevorstehenden harten Monate mit Fleisch versorgen.
Reule spürte, wie die Gedanken von seinen Freunden auf der Mauer neugierig und fragend zu denen in der Gruppe schwirrten. Doch er würgte die Fragen sofort ab, indem er eine Warnung aussandte, um das Rudel zum Schweigen zu bringen. Klatsch und Tratsch gab es schon genug, und er würde keine Informationen preisgeben, bevor er sich selbst an seine Leute wenden konnte. Er wollte nicht, dass Gerüchte die Angst in der Stadt schürten.
Es gab ein Brummen, als der Strom für die Fallgittermechanik eingeschaltet wurde, der die Energie lieferte, mit der man das schwere Tor hochfahren konnte. Der edle Kraftstoff, den sie für die Generatoren benutzten, stammte aus dem Handel mit den Pripans; ein Grund mehr, keinen Krieg mit ihnen anzufangen. Die wertvolle Annehmlichkeit von Elektrizität war sehr begehrt bei den Sánge, vor allem im Winter, wenn der Gedanke an die Kälte unerträglich war. Das war das Einzige an der Wildnis, was sie nur schwer erträglich fanden. Kraftstoff für Strom war jede Unze Gold und jeden Sack Getreide wert. Doch nur die Wohlhabendsten konnten sich während der Wintertage ein vollständig mit Strom versorgtes Zuhause leisten. Viele hatten Heizung und Licht nur in einem einzigen Raum. Ansonsten heizten sie mit Holz, Torf oder Kohle, vor allem auf den Bauernhöfen außerhalb der Stadtmauern, wo es noch keine Stromversorgung gab. Es war eins von Reules Zielen, so schnell wie möglich die notwendigen Generatoren zu besorgen.
Er hoffte sehr, dass Amando, sein Erster Gesandter, seine Handelsgeschäfte erfolgreich abschloss. Er würde es bald herausfinden, weil er Amando täglich zurückerwartete. Die Geschäfte über ihre Handelsroute mussten getätigt sein, bevor der erste Schnee fiel. Reule durfte nicht ruhen, bis der Herbsthandel abgeschlossen und die Kassen für den Winter voll waren.
Die Reiter fielen in Galopp, sobald das Tor geöffnet war. Unter lautem Rufen donnerten sie über die Hauptstraße der Stadt, sodass die Fußgänger davonstoben. Die Burg von Jeth, aus Stein und Stahl errichtet, um der feindlichen Welt zu trotzen, ragte über die Stadtmauern auf. Ein zweites Fallgitter schützte seine Außenmauer, doch es war für das Tagesgeschäft hochgezogen.
Reule führte das Rudel hindurch. Stallburschen eilten zu den erschöpften Tieren, und Reule sah, wie Saber und Amando von den Übungsplätzen kamen, um zu sehen, was den Aufruhr ausgelöst hatte.
Das Rudel saß ab, ohne irgendwelche Erklärungen abzugeben. Sie machten sich auf den Weg zur Burg, und als sie hineingingen, rief Reule: »Drago! Pariedes!«
Reules Diener und seine erste Hauswirtschafterin erschienen augenblicklich.
»Pariedes, schick ein Mädchen, um den Apotheker zu holen! Wir brauchen Medizin, Decken und saubere Kleidung für Chayne und für ein kleines Mädchen und etwas Heißes zu essen! Sorg dafür, dass etwas Weiches dabei ist. Drago?«
»Zu Euren Diensten, mein Primus«, beeilte sich der ältere Sánge zu sagen, während er hinter Reule herlief.
»Warte auf den Apotheker. Wenn er kommt, bring ihn zu den Baderäumen und hilf ihm bei Chayne. Ich will, dass nur du und Rye bei ihm seid. Du weißt, wie Chayne sein kann. Je weniger Publikum, desto besser.«
»Verständlich und sehr weise, mein Primus«, stimmte Drago ernst zu.
»Pariedes, du hilfst mir mit dem Mädchen im Bad des Primus. Und niemand sonst.«
»Mein Primus!«
Pariedes’ erschrockener Ausruf brachte ihn endlich dazu, stehen zu bleiben. Der ganze Saal verstummte, während Reule sich zu der errötenden Hauswirtschafterin umwandte, die die Schultern in vertrauter Weise straffte, was ihm einen Seufzer entlockte.
»Was ist, Para?«
»Sie haben doch gewiss nicht vor, eine besinnungslose Frau in Ihr Bad zu bringen«, flüsterte sie, obwohl Flüstern in einem Saal voller Männer mit einem scharfen Gehör und noch besseren telepathischen Fähigkeiten lächerlich war. »Das ist eine Frage des
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