Gabe des Blutes
Ausdruck trat in ihre Augen. »Sie ziehen sich bis auf die Hose aus und fordern sich gegenseitig so lange heraus, bis sie glänzen vor Schweiß. Doch Chaynes gerade überstandene Krankheit hat ihnen eine Grenze gesetzt, also sind sie dazu übergegangen, sich geistig zu messen.« Vor Enttäuschung stieß Lia einen tiefen Seufzer aus.
»Und du darfst dabei zusehen? Ich dachte immer, eine Dame müsste beaufsichtigt werden, wenn sie unter Männern ist.«
»Ich darf nicht mit einem einzelnen Mann allein sein. Mehrere Männer sind kein Problem.« Sie verzog den Mund zu einem Lächeln. »Das Ehrgefühl von zwei Männern soll wohl stärker sein als das von einem. Jedenfalls ist Justas jünger als ich, und ich bin jetzt das Oberhaupt der Familie. Er kommt gar nicht auf die Idee, sich zu meinem Aufpasser aufzuschwingen, also bin ich auf einmal ungewohnt frei. Ich verstehe, warum dir das gefällt.«
»Glaub mir, mit Para in der Nähe bin ich nicht so frei.«
»Ja, aber du wirst feststellen, dass Para dich nicht mehr in Sachen Anstand maßregelt. Stattdessen schwebt sie durch die Burg wie eine stolze Katzenmutter, deren Junges die Sahne abbekommen hat.«
»Lia!« Mystique kicherte in sich hinein, während sie, dicht gefolgt von Lia, in ihren Ankleideraum ging. Sie öffnete den Wandschrank und stellte fest, dass lauter neue Kleider darin hingen. Sie hatte keine Ahnung, wie Para das organisiert hatte.
Sogar Lia schrie auf vor Entzücken beim Anblick der vielen Farben und Stoffe. Weil es Winter war, war alles aus schwerem Material wie Samt, Wolle, Kaschmir und Pelz. Liandra nahm eines der Kleider heraus, das aus hellgrauem Tierfell gefertigt war. Es war leicht und warm zugleich und weicher als alles, was sie je gefühlt hatte.
»Du meine Güte«, hauchte Lia. »Das ist nicht von Para. Nur ein Meisterkürschner könnte etwas so perfekt fertigen. Man spürt nicht einmal die Nähte! Mystique, Reule muss das schon vor Tagen bestellt haben. Das ist außergewöhnlich.«
»Bestimmt nicht Reule selbst.« Sie streichelte zusammen mit ihrer Freundin über den weichen Pelz.
»Reule selbst«, beharrte Lia. »Kein Diener könnte ein Kleid in genau deiner Größe so schnell anfertigen lassen. Nur der Primus selbst konnte diese Bestellung aufgeben.«
»Oh.« Mystique wandte sich hastig ab, um ihr Gesicht zu verbergen, weil sie von einem Wirrwarr an Gefühlen überwältigt wurde, das ihr Herz rasen ließ.
»Was ist? Stimmt etwas nicht?«, fragte Lia besorgt und legte das Kleid über einen Stuhl. Sie streckte tröstend die Hand aus. »Hab ich etwas Falsches gesagt?«
»Nein.«
»Nun ja, das habe ich wohl doch, sonst wärst du nicht so verärgert. Bitte sag es mir«, sagte Lia leise und trat um Mystique herum, damit sich ihre Blicke trafen.
»Ich … ich weiß nicht. Ich habe nur plötzlich solche Angst. Ich habe diese Anfälle wegen irgendwelchen Kleinigkeiten. Bemerkungen oder Kleidern …« Sie blickte zu dem Kleidungsstück, bevor sie sich nervös an den Hals fasste. »Und Rye. Ryes Verhalten lässt mich zu Eis erstarren. Obwohl ich es gern verstehen will. Ich muss es herausfinden. Muss herausfinden, wie ich ihn heilen kann. Es geht um Leben und Tod für Rye, denn Reule wird keinen Verräter dulden, egal, wie lange sie schon Freunde sind. Aber noch wichtiger ist, dass es sich anfühlt, als ginge es um Leben und Tod für mich .«
»Das ist ja auch so! Rye hat dich mit dem Tode bedroht, Mystique.«
»Nein! Nein, das ist es nicht! Es ist etwas anderes. Zum Teufel mit mir und meinem miserablen Gedächtnis!«, stieß sie auf einmal hervor. »Ich weiß, dass es meine Geschichte ist, die da hochkommt, und ich wünschte, sie würde sich endlich zeigen!«
»Ganz ruhig«, beschwichtigte Lia sie und umarmte sie fest. »Sei vorsichtig mit solchen Wünschen. Es klingt, als wäre deine Vergangenheit nicht gerade angenehm gewesen. Es wäre mir lieber, du würdest es nicht herausfinden, falls das so sein sollte.«
»Du klingst genau wie Reule«, sagte sie leise.
»Ich nehme es als Kompliment, dass du mich mit meinem Primus vergleichst.« Lia trat zurück und nahm eine ernste Haltung an. »Du musst endlich in die Wanne. Du riechst nach Lust und weiß Gott was noch.«
»Lia!«
»Reule.«
Reule schreckte aus dem Schlaf hoch, setzte sich auf und packte die Hand auf seiner Schulter. Einen Moment lang war er verwirrt, bis er feststellte, dass es Darcios Hand war. Er ließ ihn los und rieb sich die verschlafenen Augen. »Was machst du hier,
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