Gabriel oder das Versprechen
in zweierlei Hinsicht
interessant.
Vor ziemlich genau drei Jahren, Ende
April 2006, wurde in Gerresheim, also in der näheren Umgebung von
Düsseldorf, Jadwiga Wieniawski, eine 29-jährige junge Polin
ebenfalls mit einem Faustmesser umgebracht. Der Täter - oder die
Täterin - wurde bis heute nicht gefasst.
Die Verwendung eines Faustmessers
mag Zufall sein. Aber statistisch gesehen ist die Zahl der Fälle,
in denen ein solches Messer als Mordwerkzeug benutzt wurde,
verschwindend gering. In der deutschen Nachkriegsgeschichte sind
derartige Fälle kaum bekannt. Das mag daran liegen, dass diese Art
von Messern fast nie von Männern verwendet wurden. In erster Linie
dienten sie Frauen wegen ihrer Handlichkeit und der Möglichkeit,
sie weitestgehend in der Handfläche zu verbergen, als
Verteidigungswaffe. Außerdem wird durch die Rechtwinkligkeit der
Klinge zum Griff die Stoßkraft, die bei einer Frau oft der
Schwachpunkt bei ihrer Verteidigung ist, deutlich erhöht. Was ich
damit sagen will? … Wir müssen auch ins Kalkül ziehen, dass beide
Taten von Frauen, vielleicht sogar von derselben Frau begangen
wurden.
Für die Theorie, dass eine Frau
zumindest den letzten Mord begangen haben könnte, spricht das -
fast zärtlich zu nennende - Arrangement von zwei Blumen in den
gefalteten Händen: Eine weiße Lilie und eine rosafarbene Rose. Um
den Hals der Leiche war eine weiße dünne Schnur hinter dem Hals
verknotet. An ihr hing eine im oberen linken »D« gelochte
Herz-Dame-Spielkarte. Wir haben die starke Vermutung, dass der
Täter oder die Täterin uns dadurch eine Botschaft zukommen lassen
will. Aber noch tappen wir völlig im Dunkeln. Wir bitten Sie
deshalb auch inständig, jede Deutung, die Sie dem Tatgeschehen
beimessen, uns wissen zu lassen. Scheuen Sie sich nicht, auch wenn
Sie selbst Ihre Vermutung für abstrus halten sollten. Und noch
eins. Die erste und die zweite Tat unterscheiden sich in zwei
Punkten gravierend: Beim ersten Mord gab es lediglich drei
Einstiche und es hatte den Anschein, als wäre das Verbrechen in
großer Eile durchgeführt worden. Ganz anders als beim jetzigen
Mord. Beiden Fällen wieder gemeinsam ist, dass nichts entwendet
wurde«, beendete er seinen Bericht sichtlich betroffen.
Allgemeines Gemurmel machte sich
unter den Zuhörern breit. Der Staatsanwalt ließ sie gewähren, denn
vorher hatten alle gespannt seinen Vortrag verfolgt. Jetzt mussten
sie sich - nach seinen Ausführungen, die für manchen neue
Erkenntnisse gebracht hatten - erst einmal untereinander
austauschen.
»Haben Sie zu dem Sachverhalt bis
dahin noch Fragen?« forschte er dann nach zwei, drei Minuten in die
Runde, nachdem die Gespräche zwischen den Kollegen wieder abgeebbt
waren.
»Ist die Nachrichtensperre jetzt
aufgehoben?« meldete sich Kirsten Knoop, eine junge Kommissarin mit
hellblond gefärbtem Pagenkopf.
»Nein, derzeit noch nicht, vor
allem, weil wir noch nicht sämtliche kriminaltechnischen
Untersuchungen abgeschlossen haben.«
»Aber verhindern Sie damit nicht,
dass Ihnen die Bevölkerung bei der Tätersuche durch entsprechende
Hinweise behilflich sein kann?« ließ sie, begleitet von
zustimmendem Nicken einiger Kollegen, nicht locker. »Generell
teilen wir Ihre Meinung. In diesem Fall jedoch nicht. Es ist eine
Interessenabwägung, die im Führungskreis durchaus kontrovers
diskutiert wurde, aber schließlich nach reiflicher Abwägung so
entschieden worden ist. Aber wir werden aller Voraussicht nach
morgen Abend, spätestens übermorgen, eine Pressekonferenz
anberaumen und dort die Medien umfangreich informieren.
Okay?«
»Ja, vielen Dank!«
»Weitere Fragen? Gut. Wenn das nicht
der Fall ist, beende ich meinen kurzen Bericht und möchte Sie
bitten, wieder an Ihre Arbeit zu
gehen.«
Hörbares Stühlerücken war zu
vernehmen. Nach und nach leerte sich der Besprechungsraum. Im Flur
stand man in kleinen Grüppchen zusammen und diskutierte das eben
Gehörte. Die meisten stimmten der Vorgehensweise zu. Viele, vor
allem die jüngeren Familienväter, beklagten, dass nun wieder eine
Zeit massiver Überstunden zu befürchten war.
12
Polizeipräsidium Wuppertal,
Dienstag, 12. Mai, 12.10 Uhr
Oberkommissar Feldt ging fast immer
- im Gegensatz zu seinem Chef - früh in die Kantine, denn er fing
seinen Dienst auch meist schon kurz vor halb acht an, weil er so
bei seiner morgendlichen Autofahrt von Witten nach Wuppertal den
häufigen Staus auf der A 43 und der A 46 entgehen
konnte.
Wie üblich
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