Gabriel oder das Versprechen
nicht
mehr. Ein Beamter kommt gleich zu Ihnen, um Sie und Ihr Personal zu
befragen.«
An seinen Stab gewandt meinte
Fassbinder mit ernster Miene »Dann wollen wir mal!« und betrat mit
seinen Mitarbeitern und dem inzwischen ebenfalls eingetroffenen
Polizeiarzt Dr. Brandt die Wohnung. Die Leute von der
Spurensicherung, die zuvor die erforderlichen Absperrungen
vorgenommen hatten, folgten ihnen in ihren durchsichtigen,
gespenstisch anmutenden weißlichen Overalls.
Das Bild, das sich ihnen bot, war
fast identisch mit dem des letzten Tatorts. Die Leiche der Frau,
die der Hauptkommissar etwa auf Mitte bis Ende 30 schätzte, lag wie
aufgebahrt auf ihrem etwa eineinhalb Meter breiten Bett im
Schlafzimmer. Ihre Hände waren gefaltet und umschlossen eine weiße
Lilie und eine rosafarbene Rose. Das weiße Laken, auf dem sie lag,
war blutdurchtränkt. An der Tapete waren zahlreiche Blutflecken zu
sehen. Der Fundort der Leiche war offensichtlich auch der Tatort.
Die Brüste wiesen mehrere Einstiche auf. Und zwischen ihren Brüsten
hing wieder an einer weißen dünnen Schnur eine
Herz-Dame-Spielkarte, dieses Mal im oberen rechten »D« gelocht. Und
wieder war mit blauem Filzstift der Schriftzug GABRIEL auf die
Karte geschrieben. »Unser Erzengel Gabriel!« stieß Fassbinder
wütend hervor. »Verdammt noch mal! Genau das wollten wir
verhindern. Ein Psychopath und Serienmörder!« Die Anderen nickten
stumm. Sie waren sprachlos. Die Leute von der SpuSi öffneten ihre
Aluminium-Koffer mit den verschiedenen Gerätschaften und begannen
routiniert ihre Arbeit. Um eventuelle Fingerabdrücke sichtbar zu
machen, stäubten sie Gegenstände und Flächen mithilfe eines
Spezialpinsels mit Magnabrush-Pulver ein. Gesichert wurden die
Abdrücke dann auf Klebefolien. Inzwischen hatte der Polizeiarzt die
Leiche einer ersten Prüfung unterzogen. An den Oberarmen fanden
sich wiederum leichte Hämatome, an den Handgelenken und oberhalb
der Knöchel geringfügige Scheuerstellen. Sie rührten von einer
Fesselung mit einem Seil her, das aber in der Wohnung nicht
gefunden wurde. Überhaupt schien alles ordentlich aufgeräumt, so
dass die Beamten der SpuSi nur wenige Gegenstände in ihre
Asservatenbeutel zu packen hatten, um sie im Labor zu untersuchen.
»Wie viele Einstiche?« meldete sich der Hauptkommissar erneut zu
Wort.
»Neun, wieder exakt neun!«
antwortete der Polizeiarzt. »Seltsam, beim Gerresheim-Fall drei und
jetzt beide Male neun«, grübelte Fassbinder.
»Eher ein Indiz, dass die Fälle
nichts miteinander zu tun haben«, schloss Ralph Seidel vorschnell.
»Aber die ›Neun‹ könnte bei Gabriel so eine Art heilige Zahl sein.
Was meinst du, Phillip, du hast dich doch mit dem Bibel-Kram
beschäftigt.«
»Ja, aber es tauchen nur die
›Sieben‹ und die ›Zwölf‹ auf, nicht die ›Neun‹!«
»Zum zweiten Mal neun Stiche könnte
aber ein Hinweis - vielleicht sogar ein gewollter Hinweis - von
Gabriel, auf das Speed-Date-Bistro sein. In
der Mitte des Logos befindet sich dreimal die ›9‹.«
»Gewagte These, aber möglich.
Spricht wieder dafür, die Sammelmappe mit den Fotos so schnell wie
möglich zusammenzustellen und mit Vera Corts zu sprechen.
Vielleicht kann uns ja auch der Barkeeper helfen. So wie das da
abläuft, kennt er auch alle Kunden und vielleicht sind die
Teilnehmer nach der Veranstaltung ja auch ein bisschen redseliger
und haben ihm das eine oder andere anvertraut. Auf jeden Fall
sollten wir sie beide befragen und ihnen die Fotos
zeigen.«
»Und um Ihre nächste Frage zu
beantworten«, grinste der Polizeiarzt den Hauptkommissar an, »vor
eineinhalb bis zwei Stunden. Da kann ich mich jetzt schon ziemlich
genau festlegen.«
Trotz der traurigen Umstände musste
auch Fassbinder lächeln. Ja, sie kannten sich schon ein paar Jahre
und der Polizeiarzt kannte die stereotypen Fragen der Beamten am
Tatort und wusste, dass die Frage nach dem Todeszeitpunkt immer
sofort gestellt wurde. »Das ist merkwürdig und passt nicht dazu,
dass der Täter vor der Ermordung der Frau noch eine ganze Weile mit
ihr verbracht haben muss … Warum sonst die aufwändige
Fesselung?«
»Wieso? Verstehe ich nicht«,
antwortete der Polizeiarzt. »Das ist doch nicht
ausgeschlossen?«
»Doch schon, die Mittagspause ist
von 13.00 bis 14.00 Uhr. Nach Ihrer Einschätzung müsste der
Todeszeitpunkt aber schon ganz zu Beginn dieses Zeitfensters
liegen. Irgendetwas stimmt da nicht. Und Sie sind sich ganz
sicher?«
»Ja, ziemlich. Der Mord muss etwa
zwischen
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