Gabriel oder das Versprechen
13.00 und 13.30 Uhr passiert sein.«
»Marc, geh doch mal nach nebenan und
frag den Filialleiter, wann Frau Friedrichs ihre Mittagspause
angetreten hat.«
Während Marc in die Bank ging, bat
Fassbinder einen Beamten der Spurensicherung, sich das Schloss der
Wohnungstür einmal genauer anzusehen. »Ist bereits geschehen! Keine
Einbruchspuren. Wenn überhaupt, dann ist der Täter mit einem
Zweitschlüssel in die Wohnung gekommen«, antwortete der Polizist.
»Hat alles seine Richtigkeit«, stürmte Marc nach einigen Minuten
zurück in die Wohnung. »Sie hat sich kurz vor zwölf bei ihrem Chef
abgemeldet. Sie habe noch etwas zu erledigen, was, hat sie nicht
gesagt.«
»Da müssen wir gleich noch mal bei
ihren Kollegen nachbohren. Vielleicht ist ja eine ›beste Freundin‹
dabei, die mehr weiß, als die Anderen. Hier können wir eh' nichts
mehr ausrichten und stören bloß die Kollegen von der SpuSi bei der
Arbeit«, blies Fassbinder zum Rückzug. Der Polizeiarzt blieb vor
Ort, weil er noch den Abtransport der Leiche ins Labor veranlassen
und gleich anschließend mit der eingehenden Untersuchimg der Leiche
beginnen wollte. Die weitere Befragung der Kollegen und des
Filialleiters blieb ohne nennenswerte Ergebnisse. Eine Bekannte -
ebenfalls Junggesellin wie die Tote - war gelegentlich mit ihr
abends weggegangen, einmal auch zu einer ›Ü-30-Party‹ in die
Unihalle, aber ohne jeglichen Erfolg. Ferner wusste sie zu
berichten, dass Karen Friedrichs schon mindestens zweimal alleine
so ein Speed-Date-Treffen hier in Wuppertal besucht hatte, aber
nicht einen einzigen männlichen Teilnehmer interessant genug fand,
um ihm ihre E-Mail-Adresse zukommen zu lassen. Insgesamt wurde die
Ermordete als kontaktscheue Einzelgängerin bezeichnet, über deren
Privatleben wenig bekannt war.
24
Polizeipräsidium Wuppertal,
Mittwoch, 20. Mai, 12.20 Uhr
Gerade war eine weitere
Pressekonferenz zu Ende gegangen. Der Innenminister hatte darum
gebeten, die Medien jetzt in vollem Umfang »ins Boot zu holen«, wie
er sich ausdrückte. Man wollte dem Vorwurf entgegentreten,
Informationen zu lange zurückgehalten und damit möglicherweise
Fahndungserfolge durch unterlassene Mitwirkung der Öffentlichkeit
verhindert zu haben. Die Konferenz war ruhig und sachlich
verlaufen, das Medieninteresse gewaltig. Die Boulevardblätter
hatten sich geschlossen auf die symbolträchtige Figur des Erzengels
Gabriel gestürzt und ihm sofort satanische und psychopathische Züge
verliehen.
Fassbinder betrat sein Büro. Seine
Sekretärin hatte ihm etliche Morgenzeitungen auf den Schreibtisch
gelegt. Sofort sprang ihm die in roten Lettern gehaltene
Überschrift des ›Wupperexpress‹ entgegen: DIE RÜCKKEHR DES
ERZENGELS. Eigentlich hatte er nicht die Zeit, sich auch mit den
zusammenphantasierten Storys der Regenbogenpresse zu beschäftigen.
Doch dieser Artikel erweckte seine Aufmerksamkeit.
Es ist zu befürchten, dass der
zweite grauenvolle Mord an einer Wuppertalerin erst der Anfang
einer ganzen Reihe derartiger Gewaltverbrechen ist. Der
Serienkiller selbst hat sich als Erzengel Gabriel geoutet. Liegt es
da nicht nahe, dass es sich hier um die Rache des Mafiabosses
Arcangelo Maglio handelt, der vor geraumer Zeit aus dem ehemaligen
Gefängnis Bendahl ausgebrochen war und jetzt als Racheengel
zurückgekehrt ist? Dafür spricht schon sein Pseudonym ›Erzengel‹,
unter dem wir ihn alle kannten.
Seine weitreichenden Kontakte
ermöglichten ihm damals die Flucht aus dem Gefängnis durch die
Sprengung einer Außentür. Die danach von ihm unverhohlen
ausgestoßenen Drohungen der Stadt gegenüber, deren Obrigkeit es
gewagt hatte, ihn festzusetzen, hallen noch nach. Das Echo erleben
wir jetzt. Wird Wuppertal zum zweiten Sodom?
Und was macht der Leitende Herr
Oberstaatsanwalt? Anstatt die Medien umfangreich zu informieren,
schweigt er und begründet sein Schweigen mit ermittlungstaktischen
Erwägungen! Das ist nicht die vertrauensvolle Zusammenarbeit
zwischen Presse und Exekutive, an die immer appelliert wird, wenn
es um das Recht der Pressefreiheit geht. Hier wird mit zweierlei
Maß gemessen. Kann der Staat es sich weiterhin leisten, seine
Informationspflicht uns gegenüber mit Füßen zu treten? … Fassbinder
hatte genug gelesen. So ein Quatsch, dachte er, und schmiss das
Schmierblatt ärgerlich in den Papierkorb. Die seriösen Zeitungen
hatten sehr viel sachlicher über die tragischen Ereignisse
berichtet, schlossen aber aufgrund der vorliegenden
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