Gabriel oder das Versprechen
Fakten
psychische Störungen des Täters auch nicht aus. Er klemmte sich den
ganzen Packen unter den Arm und machte sich auf den Weg in den
Besprechungsraum. Seine Mitarbeiter warteten bereits auf
ihn.
»Bin etwas spät dran, aber ich
musste noch kurz die Artikel in der Morgenpresse überfliegen.« Er
warf den Stoß Zeitungen auf den Tisch. »Hat jemand den Schwachsinn
im ›Wupperexpress‹ gelesen?« Die meisten nickten.
»Selten so einen Käse zu Gesicht
bekommen! Die Sache mit dem Ausbruch von Arcangelo Maglio liegt
fast 30 Jahre zurück. Nur weil der sich damals ›Erzengel‹ genannt
hat!«
»Hauptsache, die Auflage stimmt«,
meinte Kirsten. »Der glaubt sicherlich selbst nicht an diesen
Blödsinn.«
»Das ist mir, pardon, scheißegal, ob
der das glaubt oder nicht. Aber so ein geschriebener Quark führt
bei einem Großteil der Bevölkerung zu einer wahren Hysterie. Da
bekommen wir dann Hinweise über Hinweise, die uns nur in unserer
Arbeit lähmen, weil wir gezwungen sind, ihnen
nachzugehen.«
Fassbinder beruhigte sich wieder,
nachdem er Dampf abgelassen hatte. »So, nachdem wir jetzt wieder
ganz unter uns sind, lasst mal hören, was es Neues gibt«, eröffnete
Fassbinder die Sitzung. »Wo sind Marc, Phillip und
Ralph?«
»Die sind seit gestern Nachmittag
fast ununterbrochen auf Achse und kümmern sich um die
›Speed-Dater‹, die sowohl in Düsseldorf als auch in Wuppertal
registriert sind«, ließ sich Sven Ackermann - ein jüngerer
Kommissar - vernehmen, »um möglichst schnell die Foto-Mappe
zusammenzustellen. Die sollten wir dann auch den Bank-Mitarbeitern
zeigen. Vielleicht ist ja einer der ›Speed-Dater‹ in der Nähe der
Bank gesehen worden und könnte somit unser Mann sein!«
»Das wäre wie ein Sechser im Lotto!
Aber du hast Recht, wir dürfen nichts unversucht lassen und müssen
eben manchmal auch auf unseren Kollegen ›Kommissar Zufall‹ hoffen«,
antwortete Fassbinder.
Die vorliegenden
Ermittlungsergebnisse teilte er in wenigen Worten mit, damit alle
über den gleichen Informationsstand verfügten. Besondere Bedeutung
maß er dem Umstand bei, dass die ›Herz-Dame-Spielkarte‹ beim
gestrigen Mord oben rechts gelocht war. Seiner Meinung nach kein
Zufall! Denn die ansonsten akribische Vorgehensweise bei der
Tatausführung ließ keinen Raum für Zufälligkeiten.
»Könnte es sein«, meldete sich Svea
Großmann, die der Sonderkommission zugeteilte Polizeipsychologin,
»dass der Täter uns Hinweise geben will? Gerade bei Psychopathen
haben wir häufig diese Ambivalenz zwischen
›Entdeckt-werden-Wollen‹, um sich seiner Taten vor der
Öffentlichkeit rühmen zu können, und der hybriden Einstellung von
›Ihr-bekommt-mich-sowieso-nicht‹. Dabei sind die bewusst gelegten
Spuren die Schlüssel, mit denen eine Tür nach der anderen
aufgeschlossen werden soll bis zu dem Verlies, in dem das Geheimnis
schlummert und zu dem der letzte Schlüssel fehlt.«
»Interessanter Aspekt. Das mit den
bewusst gelegten Spuren haben wir auch schon erörtert. Ich habe
deshalb veranlasst, dass in ganz Wuppertal die Blumenhändler
systematisch befragt werden, ob jemand rosafarbene Rosen und
zugleich auch weiße Lilien gekauft hat.«
»Wenn Sie mich fragen, eine
überflüssige Recherche. Unser Täter ist so ausgefuchst, dass er
einen solchen Fehler nicht begehen würde.«
»Mag sein, aber ich will auf Nummer
sicher gehen! Zumal wir befürchten, dass weitere Morde folgen
werden. Die Lochung der Spielkarte oben rechts könnte die
Mitteilung an uns bedeuten ›Das war der zweite Mord, weitere werden
folgen!‹. Wie bei einer Mehrfahrtenkarte bei den Verkehrsbetrieben
sind noch zwei Fahrten frei. Um mit seiner Sprache zu sprechen:
Zwei Fahrten ins Jenseits!« Nach diesem düsteren Bild, das er da
skizziert hatte, herrschte eisiges Schweigen. Bewusst hatte er die
Möglichkeit weiterer Morde in Betracht gezogen. Seine Mitarbeiter
sollten den Zeitdruck spüren, ihre ganze Konzentration bündeln und
auf das eine Ziel richten: Gabriel zu fassen, bevor weitere
Menschen sterben mussten …
25
Gabriels Wohnung, Donnerstag, 21.
Mai, 12.30 Uhr
Gabriel saß auf seinem Balkon, im
Schutz der Markise. Ein Platzregen war erst vor wenigen Minuten
herabgeprasselt. Die Gehwegplatten glänzten feucht und der Asphalt
der Straße dampfte noch.
Es war einer dieser typischen
Maitage, in denen der Frühling erahnen ließ, welch schöne Tage der
Sommer noch bringen würde. Die riesige Platane vor seinem Haus
hatte wie jedes Jahr
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