Gabriel
Gabriel am Türrahmen lehnen. Mit funkelnden Augen schaute er ihr zu, ein Lächeln verlieh seinem Gesicht eine überirdische Vollkommenheit.
»Was ist los?«, fragte sie ein bisschen nervös, fühlte sich aber auch geschmeichelt, weil sie so interessiert beobachtet wurde.
Da ging er zu ihr. »Du raubst mir den Atem, meine Süße.« Zärtlich umfasste er ihr Gesicht. »Wie kann man so klein und doch so stark sein und so unschuldig?« Verwirrt strich er ihr das Haar aus der Stirn. »Du strafst die Realität Lügen.« Und dann fand sein Mund ihren.
Der sanfte Kuss sandte elektrisierende Ströme durch Juliettes Körper und erweckte ihre Nervenenden zu köstlichem neuem Leben. Den Laptop ließ sie auf das Bett fallen, die Reisetasche zu Boden. Sie vergrub die Hände in Gabriels schwarzem Haar und erwiderte seinen Kuss.
Mit seinem starken Arm umfing er ihre Taille und presste sie an seine Hüften, als könnte er sich ihr gar nicht nahe genug fühlen. Immer leidenschaftlicher küsste er sie.
Plötzlich zuckte sie zusammen, weil jemand gegen die Haustür hämmerte. Gabriel hob den Kopf. Reglos lauschten sie, bis sie das Klopfen erneut hörten. Nun dröhnte es noch lauter.
»Black!«, ertönte ein heiserer Schrei. »Komm heraus, schnell! Black? Bist du da, Junge?«
Diese Stimme erschien Juliette vertraut. Natürlich, sie gehörte Stuart Burns, Gabriels gutem Freund, dem Ehemann der Frau, die so wunderbar für sie gekocht hatte. Sein Ruf klang atemlos, voller Angst.
Dicht gefolgt von Juliette, rannte Gabriel die Treppe hinab und öffnete die Haustür. »Da bin ich, Stuart.«
Das Gesicht von Ruß geschwärzt, das weiße Haar grau vor Asche, stand Stuart Burns auf der Schwelle. Seine Kleider rochen nach Flammen und waren teilweise durchnässt, die blauen Augen vor Furcht weit aufgerissen.
»Was ist passiert?«, fragte Gabriel ebenso erschrocken wie alarmiert, und auch Juliettes Sorge wuchs.
»Das Kinderheim ist in Flammen aufgegangen! Tristan wurde verletzt. Und wir können Beth nirgends finden.« Qualvoll schnappte Stuart nach Luft. Offenbar war er von dem Heim so schnell wie möglich hierhergerannt.
Wer sind Tristan und Beth? Der Inspector hatte ein Kinderheim erwähnt, das Gabriel finanzierte. Daran erinnerte sich Juliette. Aber es war noch nicht fertig, niemand wohnte darin. Also musste das alte Heim Feuer gefangen haben. Und die Kinder sitzen darin fest.
Gabriel zögerte nicht. Soviel sie wusste, hatte er vor seiner Rückkehr nach Schottland in New York als Feuerwehrmann gearbeitet. Und so war seine Reaktion ganz natürlich – prompt erwachten die Instinkte eines Mannes, der oft genug Flammen gesehen hatte. Mit überirdischer Geschwindigkeit, wie ein dunkler Schemen, schoss er an Stuart vorbei. Erst nach zehn Schritten drehte er sich um. »Bleib drin, Juliette, geh nicht weg!« Ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte er in halsbrecherischem Tempo die Straße hinauf.
Noch nie hatte Juliette einen Mann so schnell laufen sehen. Sehr eindrucksvoll. Und völlig übermenschlich.
An ihrer Seite fuhr Stuart sich mit bebender Hand durchs Haar. Dann folgte er Gabriel. Nervös schaute sie ihm nach und dachte an seine Worte. › Tristan wurde verletzt. ‹ Das muss
ein kleiner Junge sein. Und er braucht meine Hilfe.
Keinesfalls würde sie untätig im Cottage warten, während verwundete Kinder ihrer Heilkräfte bedurften. Sie spähte über ihre Schulter ins Wohnzimmer. Warm und gemütlich. Voller Goldadern und -fäden, die sie schützen sollten. Viel zu auffällig begünstigte das Timing des Feuers die Absichten der Adarianer. Insbesondere, weil man jemanden brauchen würde, der Brandwunden heilen konnte. Zweifellos eine Falle.
Trotzdem würde Juliette die Schmerzen unschuldiger Kinder nicht ignorieren, nur weil ihr unangenehme Konsequenzen drohten. Das passte nicht zu ihr. Und so schloss sie die Haustür hinter sich.
Sofort nahm sie den Brandgeruch in der Luft wahr. Und sie spürte die Hitze, klebrig, unnatürlich.
Sie eilte los. Bald sah sie über dem Moor ein schwaches rötliches Licht am dunklen Horizont. Das Feuer. Dann schaute sie zum Himmel empor. Der fast volle Mond starrte zurück, von fliegender Asche getrübt.
Sicher brauchen die Leute Wasser. Dafür konnte Juliette sorgen. Ohne stehen zu bleiben, lief sie die Straße entlang auf den fernen Schimmer zu und konzentrierte sich auf das Wetter.
Der Wind frischte auf und fuhr ihr durch das lange Haar. In der frischen Brise schmeckte sie Salz. Der Wind wehte
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