Gabriel
schüttelte der alte Mann den Kopf. »Nein.«
Da drückte der Adarianer ab, und jemand in der Menschenmenge stieß einen Schrei aus. Daraufhin zielte er auf die Leute – eine Warnung, die sie zum Schweigen brachte. Hastig wichen sie zurück.
Der Vikar schwankte und stürzte. Reglos lag er im kalten, nassen Gras. Keine hundert Meter entfernt, hüllte sich die Ruine des Kinderheims in schwarzen Rauch.
Anmutig sank der Adarianer neben Juliette auf ein Knie und ließ die Waffe auf seinem Schenkel ruhen. Die grünen Augen funkelten wieder, das warmherzige Lächeln wirkte sogar echt. »Ich wusste, Sie würden die Kinder retten.«
»Bastard«, zischte Juliette ärgerlich. Sie fühlte sich betrogen. Warum sah der Mann kerngesund und attraktiv aus? Nichts wies darauf hin, dass ihn erst neulich bei Slains Castle ein Blitz getroffen hatte. Welch machtvolle Erzengel die Adarianer waren!
»Das weiß ich«, entgegnete er leichthin und griff nach ihrem Arm. Sobald seine Finger das Leder ihrer Jacke umklammerten, stöhnte er gepeinigt und zuckte zurück.
Beinahe hätte sie gelächelt.
Der Adarianer starrte seine Hand an. Dann ließ er seinen Blick über Juliettes Kleidung schweifen und entdeckte die Goldfäden. »Ich verstehe«, lautete sein schlichter Kommentar.
Ungerührt stand er auf und steckte die Waffe hinten in seine Jeans, bevor er aus einer Innentasche seiner Lederjacke ein Paar schwarze Lederhandschuhe nahm. Während er sie anzog, umspielte ein grausames Lächeln seine Lippen. Hoffnungslos enttäuscht senkte Juliette die Wimpern.
Diesmal beugte er sich nur hinab, statt niederzuknien, und hob sie hoch. Sie wollte sich wehren. Doch der Kampf gegen das Feuer hatte ihr alle magischen Kräfte geraubt, so restlos wie nie zuvor.
Der Adarianer trug sie davon, weg vom Kinderheim und den Leuten. Da er ebenso groß wie Gabriel war, gewann sie irgendwie den Eindruck, sie wäre eine Meile vom Boden entfernt.
»Dieses Haus haben Sie angezündet«, beschuldigte sie ihn.
Das bestritt er nicht.
Plötzlich kam es ihr seltsam vor, so zu reden. Als hörte sie ihre eigene Stimme in einem Traum. Sie spürte nicht, wie sich ihre Zunge bewegte. Sonderbar kribbelte ihre Haut, und sie fror. »Werden Sie mich töten?«, fragte sie in viel zu sanftem Ton.
Bis er antwortete, dauerte es sehr lange. Sie zwang sich, die schweren Lider zu heben. Da schaute er ihr in die Augen, als suchte er etwas. »Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.«
Nun wusste sie Bescheid. Sie bemühte sich nachzudenken. Mit ihm kämpfen konnte sie nicht, weil sie ihm körperlich unterlegen und im Moment ohnehin zu schwach war. Besaß sie denn überhaupt keine Magie mehr? Keine Kontrolle über das Wetter, um tödliche Blitze zu erzeugen? Keine Telekinese, die Steine emporreißen und dem Adarianer gegen den Kopf schleudern würde?
Aber es kostete sie schon Kraft genug, Atem zu schöpfen. Und es fiel ihr mit jeder Sekunde schwerer.
Ich werde sterben. Welch ein grauenhafter, unerträglicher Gedanke! Sie wusste nicht einmal, woher er kam. Nur eins stand fest: es gab kein Entrinnen.
So hilflos wie nie zuvor, ließ sie ihren Kopf an die Schulter des Adarianers sinken. »Wie … wie heißen Sie?«, stammelte sie mit letzter Kraft. Sie wollte wenigstens erfahren, wer sie töten würde.
»Daniel.« In schwindelerregendem, übernatürlichem Tempo trug er sie über das Moor, durch Nebelschwaden voller Asche einem unbekannten Ziel entgegen.
Mittels seiner Magie erzeugte Gabriel ein Tuch, das er sich vor Mund und Nase band, bevor er in das brennende Gebäude stürmte. Schreiend versuchten die Männer ihn zurückzuhalten. Was er tat, war reiner Wahnsinn. Aber die Frauen schwiegen, denn da drinnen waren Kinder. Manchmal musste man Opfer bringen, das wussten sie.
Erst einmal lief er zu einer Tür und öffnete ein Portal ins Herrenhaus, um seine Brüder zu holen, die ihm helfen mussten. Aber im Wohnzimmer traf er niemanden an. Niemand beantwortete seinen Ruf. Frustriert spürte er die Leere ringsum. Offenbar waren sie alle damit beschäftigt, noch Sachen von Eleanores und Juliettes Eltern zu holen.
Gabriel bezwang seine Enttäuschung und öffnete ein neues Portal, das ihn ins Kinderheim zurückführen würde. Vorher wirbelte er mittels Telekinese alle möglichen Gegenstände im Wohnraum durcheinander und hoffte, das Chaos und der Brandgeruch würden seinen Brüdern und Max klarmachen, wie dringend er ihre Hilfe brauchte.
Zurück im Kinderheim, nutzte er seine
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