Gabriel
Gerade noch rechtzeitig richtete er sich wieder auf, um den Rest des Infernos ersticken zu sehen, bis nur noch dunkler Qualm und schwelende Asche übrig blieben.
Mit der Frage, was geschehen sein mochte, vergeudete er keine kostbare Zeit. Stattdessen nutzte er die Chance. Das kleine Mädchen an seine Brust gedrückt, entledigte er sich der Maske mittels seiner Willenskraft und rannte in Richtung Ausgang. Im Rauch sah er nichts, und so jagte er magische Energien vor sich her, die alles aus dem Weg räumten, worüber er hätte stolpern können.
Sekunden später stürmte er durch die geborstene Vordertür ins Freie, in den strömenden Regen hinaus. Zwanzig Meter von der verkohlten Fassade entfernt fiel er auf die Knie. Sofort wurde er von Männern und Frauen umringt. Er legte Beth ins Gras und tastete an ihrem Hals nach dem Puls.
Wie alle Erzengel konnte er die Seele eines Menschen wahrnehmen. Und er spürte sie auch in Beths Körper. Doch er wusste nicht, wie schwer Beth verletzt war. Wie viel Zeit ihr noch blieb. Der Puls pochte schwach und ungleichmäßig. Wenn sie genug Luft bekam, würde sie das Grauen überleben. Mit geschlossenen Augen rief er in Gedanken nach Azrael. Jetzt brauchte er alle seine Brüder. Er fühlte etwas Böses in der Luft. Zweifellos hatte ein Adarianer das Kinderheim in Brand gesteckt.
Der Vampir-Erzengel befand sich vermutlich auf einem anderen Kontinent, durch einen Ozean von ihm getrennt. Er würde den Ruf nicht hören. Trotzdem tat Gabriel sein Bestes und versuchte es immer wieder.
Irgendwo in der Nähe ertönte ein Martinshorn. Wahrscheinlich ein Krankenwagen. Gabriel stand auf und wandte sich an die Leute, die ihn umringten: »Seht zu, dass Beth Sauerstoff bekommt.«
Alle nickten und drängten sich um das Kind.
Gabriel indes verließ sie und schaute sich suchend um. Etwa hundert Meter entfernt sah er eine Gruppe am Rand eines Feldes stehen. Andere Menschen schienen damit beschäftigt, die letzten Glutnester in der qualmenden Ruine zu löschen.
Wie seltsam sich die Luft anfühlte. Mit einer Elektrizität geladen, die nichts mit dem Brand zu tun hatte. Gabe warf wieder einen Blick auf das rauchende Gebäude. Und in diesem grausigen Moment erkannte er, was geschehen war.
Juliette.
Statt auf ihn zu hören, war sie nicht im Cottage geblieben, sondern hierhergeeilt. Und irgendwie hatte sie das Feuer gelöscht.
In überirdischem Tempo raste Gabriel zu der Gruppe am Feldrand, schob die Leute beiseite und sah den Vikar am Boden liegen. Tot. Das spürte er sofort.
»Er hat ihn erschossen«, erklärte jemand. »Dann hat er den Engel mitgenommen, der das Feuer gelöscht und das Kind gerettet hat.«
Atemlos blickte Gabriel sich um, und da entdeckte er den kleinen Jungen, der zwischen den Erwachsenen hervorspähte. In verkohlten Fetzen hingen die Kleider an Tristans Körper. Aber seine Haut wies keine einzige Brandwunde auf, das blonde Haar war unversehrt, und er sah kerngesund aus.
Ein Engel hat ihn gerettet.
»Nein.« Wilder Zorn erhitzte das Blut des Erzengels und ließ ihn rotsehen. Eine Viertelmeile entfernt schlug ein Blitz ein.
Gabriel warf den Kopf in den Nacken und schaute zum Himmel auf, wo sich tief hängende Wolken zusammenbrauten und Blitze zuckten, diesmal ganz in der Nähe.
Juliette! Seine kostbare Seelengefährtin hatte all diese Menschen gerettet.
Und ein Adarianer hatte sie entführt.
28
Daniel verfrachtete den Sternenengel auf den Beifahrersitz des gestohlenen Autos, das er zuerst benutzen würde. Dann schnallte er Juliette an. Obwohl sie fast bewusstlos war, gelang es ihr, die Augen zu öffnen. Sie war unglaublich willensstark. Aber diese innere Kraft würde wohl kaum genügen, um sie zu retten.
Wie auch immer, vorerst brauchte er sie in lebendigem Zustand. Er zog ein Fläschchen aus der Innentasche seiner Jacke und hielt es an Juliettes Lippen. »Trinken Sie das.« Sie schüttelte den Kopf und wandte sich ab. Mit sanfter Gewalt zwang er sie, seinen Blick zu erwidern. »Das ist kein Gift. Auch keine Droge. Nur Traubenzucker. Den brauchen Sie, sonst werden Sie immer schwächer. Trinken Sie das, oder ich muss es Ihnen injizieren.«
Zögernd öffnete sie den Mund und ließ ein paar Tropfen auf ihre Zunge rinnen. Er stellte sich vor, sie würden saccharinsüß schmecken, schleimig, ein bisschen salzig. Glücklicherweise schluckte sie. Als die Flüssigkeit durch ihre Kehle rann, zuckte sie zusammen.
»Trinken Sie alles«, befahl Daniel, und sie gehorchte. »So
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