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Gabriel

Gabriel

Titel: Gabriel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Killough-Walden
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zukam. Die Gästeschar schien sich zu teilen und ihm Platz zu machen. In seinen Schritten erkannte Juliette eine fast übermenschliche Anmut, aber auch zielstrebige Entschlossenheit. Sekundenlang fragte sie sich, ob sie immer noch oben im Bett lag und träumte.
    Dann stand er vor ihr. Beinahe schnappte sie nach Luft.
    Draußen braute sich ein Gewitter zusammen, Regen prasselte gegen die Fensterscheiben, meilenweit entfernte Blitze beleuchteten die Wolken.
    »Das glaube ich nicht.« Trotz des Lärms ringsum hörte sie sein Flüstern. Die Menschenmenge konnte seine Ausstrahlung nicht beeinflussen. Langsam glitt sein Blick über Juliettes Gesicht, und sie beobachtete, wie er sich alles an ihr einzuprägen schien, vom Kopf bis zu den Stiefelspitzen. Mit jeder Sekunde sah sie seine Verwirrung wachsen. »Du bist es.«
    Was sollte sie dazu sagen?
    Aber eine Antwort war gar nicht nötig, denn er trat vor, stützte seine linke Hand gegen die Wand und schlang den rechten Arm um ihre Taille. Hastig holte sie Atem, als würde sie im nächsten Moment ins Meer tauchen, da wurde sie auch schon hochgehoben, an seinen harten Körper gepresst, und ein heißer Kuss verschloss ihr den Mund.
    Irgendwo in der Nähe schlug ein Blitz ein, gefolgt von einem Donner, der den Lärm im Pub effektvoll übertönte.
    In der Hitze des Kusses entschwand die Realität, eine betörende Magie jagte das Blut schneller durch Juliettes Adern und krümmte ihre Zehen in den Stiefeln. Ihre Hände fanden den Weg zu seiner Brust, spürten kraftvolle Herzschläge, und sie glaubte dahinzuschmelzen.
    Bald hörte die Zeit auf zu existieren. Beinahe fühlte Juliette, wie die Sekunden versickerten und starben. Alle Geräusche verstummten, die Welt verkleinerte sich, bis nur mehr die Stelle übrig blieb, an der sie sich befand. Und der Fremde, der sie küsste, als wäre sie seine Frau, die er jahrtausendelang nicht gesehen hatte.
    Ein Fremder …
    Wieder schlug ein Blitz irgendwo ein, und die Band hörte auf zu spielen.
    Die Realität schob sich neuerlich in ihr Bewusstsein. Sie hörte jemanden hilflos und sehnsüchtig stöhnen, während sich die Hitze, die ihren Körper überflutet hatte, zwischen ihren Beinen sammelte. Und da merkte Juliette, dass sie es war, die stöhnte.
    Er ist ein Fremder. Aber er schmeckt so gut, dachte sie konfus. Wie Lakritze und Minze und sehr dunkles Ale. Sie war verloren, in einem Labyrinth der Lust gefangen, ohne jede Hoffnung, den Ausgang zu finden. Noch nie war sie so geküsst worden. Kein Mann vermochte so zu küssen. Das war der Stoff, aus dem ihre Träume waren.
    Was tue ich hier?
    Draußen tobte das Unwetter, der Wind rüttelte an den Fensterscheiben.
    O Gott, so gut fühlt er sich an.
    Jetzt schlug die Realität Alarm in Juliettes Gehirn. Aus sämtlichen Richtungen stürmte die Welt auf sie ein. Zuerst kehrten die Geräusche zurück – gedämpfte Musik, rollender Donner, nervöses Gelächter, angespannte Gespräche, die langsam lockerer wurden.
    Juliette blinzelte verstört. Und da erkannte sie, wo sie war – in der Umarmung eines Mannes. Mit aller Kraft stemmte sie sich gegen seine Brust, überrumpelte ihn, und er wich zurück. Nur ein bisschen. Er beendete den Kuss, stellte sie auf die Füße, aber er umfing sie immer noch und starrte auf sie herab.
    Sofort vermisste sie seine warmen Lippen. Die Intensität des unglaublichen, flüssigen Quecksilbers in seinen Augen weckte in ihr das Gefühl, sie wäre noch kleiner geworden. In seinem Arm musste sie geradezu winzig wirken. Und sie wusste verdammt gut: Hätte sie ihn mit ihrem abrupten Stoß nicht überrascht, würde er sie immer noch an seine Brust pressen, die einer Felswand glich.
    »Was zum Teufel tun Sie?«, fauchte sie mit bebenden, von seinem Kuss geschwollenen Lippen. Draußen schlug wieder ein Blitz ein und entlockte einer Frau in ihrer Nähe ein angstvolles Jammern. Das ignorierte Juliette, weil ihr nichts anderes übrig blieb.
    Sein Kuss. Ihr Blick schweifte zu seinem Mund. Heiliger Himmel, sein Kuss!
    »Was ich tue?«, fragte er mit perfektem schottischem Akzent. »Etwas, worauf ich jahrhundertelang gewartet habe.«
    Beim Klang seiner tiefen Stimme drohte sich der kleine Teil ihres Ichs zu verflüssigen, den die leidenschaftliche Umarmung noch nicht geschmolzen hatte. Aber ihr restlicher Verstand genügte, um zu bemerken, wie unsinnig seine Worte waren. Offensichtlich war er betrunken. Das erklärte den Ale-Geschmack auf seiner Zunge. Natürlich, er war beschwipst,

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