Gabriel
Blick nicht von Juliette losreißen. Immer wieder staunte er, weil sie keine Traumgestalt, sondern tatsächlich hier war, aus Fleisch und Blut. Unglaublich.
Um ganz sicher zu sein, musste er sie berühren. Obwohl er sich gedulden wollte, gewann seine gebieterische Seite die Oberhand. Unter dem Vorwand, Tee aus der Küche zu holen, ging er hinter dem Sofa vorbei, seine Finger streiften Juliettes Schulter, und er fühlte, wie sie erschauerte. Sofort entstand eine neue Spannung zwischen ihnen.
In den letzten Stunden war er ein paar Mal noch tückischer gewesen. Mittels Telekinese hatte er die Chenilledecke zu Boden befördert und ihre Beine unterhalb des kurzen fliederfarbenen Rocks enthüllt.
Sie hatte sich gebückt und die Decke aufheben wollen. Dazu hatte er ihr keine Gelegenheit gegeben. Er war vor ihr niedergekniet, hatte die Decke wieder über ihre Schenkel gebreitet und um ihre Hüften gelegt, während er ihr eindringlich in die Augen geschaut hatte. Wenn sie seinem Blick auch ausgewichen war, so hatte er doch ihr Erröten und die geweiteten Pupillen hinter den halb gesenkten Wimpern gesehen. »So, jetzt ist dir wieder warm, Babe.«
Nur widerstrebend hatte sie ihm gedankt. Aber so sehr sie sich auch dagegen sträuben mochte, die Wirkung seiner Anziehungskraft auf sie war nicht zu leugnen gewesen. Nun befand er sich in einer seltsam zwiespältigen Position. Noch nie hatte er um das Vertrauen oder die Zuneigung einer Frau kämpfen müssen. Und er war mit unzähligen Frauen zusammen gewesen. Andererseits fühlte er sich, wann immer er Juliette anschaute, nicht wie er selbst, sondern wie ein faszinierter Grünschnabel. Das hasste er.
Und er fand es wundervoll.
Als wäre er verliebt. Verliebt? Diesem Gedanken hing er nach, während er beobachtete, wie sein Sternenengel an den Fransen der Decke zupfte. Juliettes Profil erschien ihm reizvoll und sehr feminin. In üppigen Wellen fiel ihr Haar zur schmalen Taille hinab, die zierlichen Finger zuckten nervös.
Natürlich war er noch nie verliebt gewesen. Kein Erzengel hatte die Liebe gekannt, bevor Uriel seiner Eleanore begegnet war.
Und jetzt regten sich völlig neue Gefühle in Gabriels Brust. Als würde eine sanfte Hand das Raubtier in seinem Innern zähmen. Gleichzeitig pirschte es sich zielstrebiger denn je an seine Beute heran. In seinem Herzen wusste er es: Niemals würde er Juliette gehen lassen.
Sie gehört mir. Verwirrt zog er die Brauen zusammen. 0 Gott. In seinem Gehirn tobte ein Sturm, der ihn erzittern ließ, gefolgt von einer Erkenntnis, die seine Seele vereinnahmte: Ich liebe sie.
»Samuel Lambent«, sagte Juliette plötzlich. Offenbar hatte ihr jemand eine Frage gestellt. Und der Name durchschnitt den wirren Nebel in Gabes Kopf wie eine Haifischflosse das Meereswasser.
»Was?«, würgte er hervor.
Fragend blickte Uriel zu ihm auf. Ja, alle Anwesenden beobachteten ihn jetzt. Leise hatten sie miteinander gesprochen. Vor lauter Erschütterung über die fremdartigen Gefühle in seiner Brust hatte er nicht zugehört. Nun wurde ihm bewusst, dass irgendwas nicht stimmte, und er wollte wissen, warum Juliette soeben Sam erwähnt hatte.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, erklärte sie: »Mr. Lambent finanziert meine Studien.«
»Die Recherchen für Ihre Dissertation?«, fragte Uriel, ehe Gabriel zu Wort kam. »Deshalb haben Sie ihn in Glasgow getroffen?«
Nervös und sichtlich verlegen nickte sie. »Er plant eine TV-Miniserie über die Legenden und die Kultur des alten Schottland. Dafür soll ich ihm wissenschaftlich fundiertes Material liefern.« Sie schaute Gabriel an. In den Tiefen ihrer haselnussbraunen Augen flackerte ein Geheimnis und erzeugte ein intensiveres Grün denn je. Dann verdunkelten sie sich. »Gewiss ärgert er sich maßlos, weil sein Lift zerstört wurde, und er wird mich wohl kaum weiterhin unterstützen.«
Gabriel biss knirschend die Zähne zusammen.
»Irgendwie hat er herausgefunden, dass das Thema meiner Doktorarbeit in gewissem Rahmen mit dem seiner Fernsehserie übereinstimmt«, fuhr Juliette fort, »und er hat sich an meinen Studienberater gewandt. Wahrscheinlich wollte er sich die langwierige Suche nach einem geeigneten Experten ersparen.«
Während sie sprach, wuchs ihr Zorn und Gabes Verblüffung. Einfach ungeheuerlich. In ihrer Naivität war Juliette auf Samaels Lügen hereingefallen. Bildete sie sich jetzt ein, sie würde den Erzengeln, die sie vor dem Schurken gerettet hatten, zurecht grollen? Oh, sie hatte ja
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