Gabun - Roman
langsam aus. Sie hatte unwillkürlich die Arme erhoben. »Ein – ein Affenadler vielleicht.«
»Und was wollte der von uns?«
»Was denkst du, was der wollte? Aber wir waren ihm dann wohl zu groß.«
Sie balancierte auf einer Baumwurzel zum Ufer. Schien sich nichts daraus zu machen, dass ein hiesiger Adler sie in sein Beuteschema einsortiert hatte, nur für kurze Zeit zwar, aber immerhin. Hinter Felicité erklomm ich ebenfalls die Böschung, dazu hielt ich mich an dem knorrigen Wurzelgeflecht fest, mit dem die Bäume sich im Sumpf verankert hatten. Sofort schoss mir ein heftiger Schmerz durch den Arm. Eine schwarze Ameise, gut zwei Zentimeter lang, saß auf meinem Handrücken und hakte ihre Mandibeln in meine Haut. Ich versuchte, sie herunterzuschnippen, aber sie hing mit ihren Zangen fest. Ohne Gnade riss ich ihr den Kopf ab, ich konnte auch anders. Die Zangen ließen nicht los, ich musste sie einzeln heraushaken. Meine Hand fühlte sich an, als hätte ich in eine Steckdose gefasst.
Ich bilanzierte, dass wir bereits zweimal attackiert worden waren, auf einer Strecke von vielleicht hundert Metern, seitdem wir das Flugzeug verlassen hatten. Felicité fasste nach meiner Hand und zog mich vollends in das dichte Unterholz hinauf, von dem das Ufer bewachsen war. Ich hockte mich auf eine Wurzel.
»Diese Adler«, sagte ich, »greifen die Menschen an?«
»Anscheinend nicht.« Sie wiegte den Kopf. »Es heißt, sie reißen Antilopen.«
Ich gab dazu keinen Kommentar. Unter anderem deshalb nicht, weil Felicité vor mir gerade laut zu schreien anfing und mit beiden Füßen auf den Boden trampelte, als wäre sie vom Veitstanz befallen. Sie wäre zurück ins Wasser gestolpert, wenn ich sie nicht festgehalten hätte. An ihrer Wade hingen vier oder fünf Blutegel, so dick wie mein Zeigefinger. Sie schrie weiter in unverminderter Lautstärke irgendetwas auf Französisch, während sie trampelte, die Fäuste geballt. Nicht schwer zu verstehen, was sie mir mitteilen wollte, vermutlich: »Mach sie ab!«
Bei Zecken, wusste ich, gab es einen Trick, welchen, hatte ich vergessen. Mir war aber klar, dass mir schnell etwas einfallen musste, weil Felicités anderes Hosenbein noch gar nicht hochgestreift worden war und sich dort mit Sicherheit auch welche festgesaugt hatten. Also packte ich die Viecher, die mit ihren schwarz-braun gestreiften Leibern pumpende Bewegungen veranstalteten, riss sie von Felicités Wade herunter und schleuderte sie ins Wasser zurück. Sie gingen ab, mit einem unguten Geräusch. Jeder Blutegel hinterließ eine Wunde von der Form eines kleinen Hufeisens, aus der ein feiner Faden Blut herausrann. Mein Magen machte eine Faust. Insgesamt waren es acht. Sechs rechts und zwei links. Ich zupfte sie herunter. Felicités Knie zitterten. Danach zog ich ahnungsvoll meine Stiefel aus. Bei mir waren es nur zwei.
»Ich hab sie gar nicht gespürt«, sagte Felicité. »Mein Gott.«
Auf ihren Wangen glitzerten Tränen. Wir sind verloren, dachte ich. Das schaffen wir nie. Wir standen noch immer am Ufer des Sumpfes. Standen vor einer grünen, dicht geflochtenen Mauer aus Geäst und Ranken. Als ich mich umdrehen wollte, um mir die Sache näher anzusehen, rammte ich mir gleich einen Dorn in die Schulter. Undurchdringlich.
»Wir brauchen eine Machete«, sagte ich.
Felicité griff sich ans Gesäß und zückte Ze Zés Messer. Aber schon als sie es in der Hand hielt und die papierdünne Schneide an eine der armdicken Lianen legte, war klar: Dafür taugte es nicht. Die zottige grüne Wand, vor der wir standen, stellte andere Anforderungen als ungeschälte Karotten. Felicité schob das Messer wieder zurück an seinen Platz.
»Lass uns überlegen«, sagte sie. »Wir sind nicht blöd und sollten uns auch nicht so anstellen, als wären wir es. Es gibt eine Menge Tiere im Dschungel, die haben keine Machete. Die kommen auch hier durch.«
Mit Hilfe ihres Stocks balancierte sie auf den Brettwurzeln, die sich von der Uferböschung aus in den Sumpf hineinkeilten, am Ufer entlang. Nach einer Weile rief sie mir zu, sie habe eine Art Höhle gesehen, einen Durchschlupf. Ich stand auf und warf einen letzten Blick zurück auf unser Flugzeug, das mit geknickter Nase im Sumpf steckte. »Cherokee«. Die geschwungenen roten Buchstaben, irgendwann einmal entworfen von einem Designer an einem gemütlichen Schreibtisch unter einer Klimaanlage. Ein letztes Zeichen der Zivilisation. Ich stellte mir den Rumpf einen Augenblick lang überwuchert von
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