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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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dessen Mitte unsere kleine Behausung stand, wurde jetzt aufgelauert und getötet, Klagelaute ertönten, Körper wurden zerrissen und gefressen – der Wald war erfüllt von einer Sorte Leben, die mir bisher nicht begegnet war, und er war voller Tod. Wer hier herrschte, keine Frage, das war Maka, der Tod. Alles Lebendige musste sich ständig davor hüten, von Zähnen, Schnäbeln oder Chelizeren zerfetzt zu werden, es war keineswegs selbstverständlich, einfach weiterexistieren zu können.
    Ich bewegte meine Finger, starrte auf meine Hand, ein Schatten bloß in der Dunkelheit der Hütte. Meine Hand aus Fleisch und Knochen, etwas größer als die des Affen, den wir heute gegessen hatten, aber ohne Zweifel ebenfalls essbar. Meine Umgebung war, gab ich ihr dazu Gelegenheit, darauf vorbereitet, mich zu verzehren, die Werkzeuge dafür standen bereit, von den Zähnen der Krokodile und Leoparden bis zu den ständig auf Nahrungssuche umherschweifenden Ameisen und Mücken und den allgegenwärtigen Mikroben. Ich würde ohne Zögern in ein strömendes Kontinuum assimiliert werden, in einen Strom der Verschwendung hineintreiben, in dem sich wieder auflösen würde, was ich einmal gewesen war, um an anderen Stellen in neuen Erscheinungen aufzugehen. Ich hatte enormes Glück gehabt, überhaupt gezeugt zu werden, aufwachsen zu dürfen, dreißig und mehr Jahre am Leben zu sein.
    Was ich bisher zwischen mich und die Natur geschoben hatte, meine Vorstellungen von Sicherheit, Gut und Böse, mein stabiles Ich, das kam mir alles so fadenscheinig vor wie ein dünner Vorhang.
    Am nächsten Morgen verließ uns M’bale. Er lachte noch einmal sein Eckzahnlachen für uns, der Hund wedelte dazu stummelmäßig. »À bientôt!«
    M’bale verschwand zwischen den Blättern, ohne dass er eines davon gestreift hätte. Er hatte uns seine Büchse mit dem Honigrest dagelassen, dazu eine Handvoll ungekochter Insektenlarven. Einen Snack sozusagen. Hatte uns auch erzählt, wo die Larven zu finden seien, aber das war schwer zu verstehen gewesen, weil er eine Menge Namen dazu verwendet hatte, die wir nicht kannten. Wir beschlossen, einfach auf ihn zu warten. Bis »ce soir« oder »demain«. Er würde uns schon holen.
    Dieser Tag ging vorüber, als wäre es kaum ein Tag gewesen. Ich begann zu begreifen, dass hier im Wald alles immer auf die gleiche Art vor sich ging. Zeit war hier nicht Zeit. Man konnte ein Jahr hier verbringen, und es tat sich nichts Besonderes, wahrscheinlich auch in hundert Jahren nicht. Gut, die Pflanzen wuchsen heran, verschafften sich Raum, stürzten zu Boden, vermoderten und verschwanden nach einiger Zeit. Das galt auch für die Tiere, sie schlüpften aus Eiern oder wurden geboren, sie hatten ihre Zeit, danach wurden sie abgelöst von anderen Artgenossen, die ihnen aufs Haar glichen. Ein langsames Pulsieren von Formen, die als gleiche wiederkehrten und sich allenfalls nach Tausenden von Jahren ein wenig veränderten, als Individuen alle ohne Belang, die Einzelwesen nur ein Taktschlag in einem langsamen, sehr langsamen Rhythmus. Ab und zu ließen sich die Stimmen der drei Vögel über uns hören, sie stellten tagsüber das einzige Hörprogramm dar. Und auch sie hatten wir bis jetzt noch kein einziges Mal zu Gesicht bekommen. Weder den, der juchzte, noch den mit den Kaugummiblasen oder denjenigen, der mit Türen knarren konnte. Vielleicht war es auch nur ein Vogel, der alle drei Laute von sich geben konnte.
    Die Sonne stieg gegen Mittag so hoch, dass sie den Wald bis auf den Boden herunter aufheizte, dann verschwand sie wieder, und die Feuchtigkeit, die ihre Strahlen aus den Blättern gezogen hatte, dampfte herauf, der nasse Film auf unserer Haut, der bis in die Nacht bleiben würde, erneuerte sich.
    Sonst passierte rein gar nichts. Felicité und ich waren einsilbig geworden, als gebe es nichts zu reden. Wir passten uns an die Eintönigkeit an, unterhielten das Feuer, suchten trockenes Holz dafür und entfernten die Ameisen von unseren Kleidern, die inzwischen so nach Rauch stanken, dass ihr Geruch das fehlende Autan leicht ersetzen konnte. Trotzdem wurden wir laufend von verschiedenen Insektensorten gestochen. Die Stiche verjugendlichten unsere Gesichter, als hätten wir wieder Pickel bekommen. Jedenfalls sah das bei Felicité ein wenig so aus.
    »Was denkst du, was die Diamanten wert sind?«, fragte ich, während ich im Feuer herumstocherte.
    »Falsche Frage«, antwortete sie. »Sie sind wertvoll genug. Das Problem besteht darin, wo

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