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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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hätte. Jedenfalls kein Affe. Und niemanden sah ich an einer Hand oder an einem Fuß kauen. M’bale hielt sich zwei Finger vor die Stirn und zeigte mit ausgestreckten Händen das Maß einer Katze.
    »Eine Antilope«, sagte Felicité. »Ducker wahrscheinlich. Die sind sehr klein.«
    Eine katzengroße Antilope also. Ich war dankbar dafür, dass es ein Tier war, das denjenigen ähnelte, die ich bisher gegessen hatte.
    Die Nacht war gekommen, rasch und unmittelbar. Das Feuer bildete die einzige Lichtquelle. Ich schaute hinüber zu der Alten, zu Grand-mère, die langsam an ihrer Portion kaute, dabei wiegte sie sich ein wenig hin und her. In ihren verträumten Augen glänzte der Widerschein des Feuers. Erneut schienen sie irgendwohin gerichtet, wo sie etwas sah, was ernster und wichtiger zu sein schien als ihre Umgebung.
    In der Runde um das Feuer saßen vielleicht drei Dutzend Leute in bunter Reihe, in T-Shirts und in Shorts. Die Älteren waren fast nackt, ihre Körper verschmolzen mit der Dunkelheit, die vom Feuerschein an den Waldrand zurückgeworfen wurde. Ab und zu stand jemand auf und fischte mit einer hölzernen Gabel nach Fleischstücken in den drei Töpfen, die am Feuer in einem Glutbett standen. Wer seine Schale hob, bekam eine Portion hineingelegt. Zum Schluss gab es für jeden noch zwei winzige Bananen.
    Dann brachten zwei Männer schlanke Trommeln zum Feuer, setzten sie auf den Boden und knieten sich davor. Es waren der alte ’Ta und ein jüngerer Mann mit verschlossenem Gesichtsausdruck und breiten, sehr beweglichen Nüstern, die wirkten wie extra angesetzt. Sie fingen an, die Trommeln mit kleinen Schlegeln zu bearbeiten. Die Kinder standen beim Klang der Trommeln vom Feuer auf und setzten sich ein Stück weiter nach hinten, wo sie, nach Altersgruppen sortiert, ihre Geheimnisse bewisperten; die Erwachsenen blieben sitzen. Das Paar, das sein Kind verloren hatte, hatte sich hinter die träumende Alte gesetzt.
    Die Trommeln tasteten sich durch einen komplizierten Rhythmus, fanden sich zusammen wie zwei Tänzer und einigten sich auf ein gemeinsames tappendes Voranschreiten. Es war still geworden, nur die Äste knackten im Feuer.
    M’bale erhob sich und verschwand im Dunkeln. Die anderen schwiegen, sie schienen der Trommel zu lauschen. Einige von ihnen zeigten den entrückten Ausdruck, den die Alte ständig trug. Worauf sie warteten, wurde mir in dem Augenblick klar, als die Alte zu singen begann, wobei »singen« nicht das bezeichnet, was sie tat. Es war mehr ein Jodeln. Sie sang zuerst zwei, dann drei Falsettsprünge, die sich wiederholten; ihre Stimme sprang auf und ab, und sie klang so rein wie eine Oboe. Sie produzierte einen orchesterreifen Holzbläserklang. Noch niemals hatte ich einen Menschen so singen hören. Nach ein paar Strophen gesellte sich eine zweite, tiefere Stimme dazu, es hätte ein Fagott sein können. Die beiden Stimmen sprangen auf und ab, kletterten gemeinsam durch die Tonleitern. Der Sänger war zu meinem Erstaunen der alte ’Ta, der dazu auf seine Trommel schlug, der Rhythmus war zu einem raschen Herzschlag geworden. Dann setzten eine dritte und eine vierte Stimme ein, eine davon gehörte der jungen Frau, die hinter der Alten saß. Es war die ergreifendste Totenklage, die ich je gehört hatte – wenn es eine war. Wir erfuhren es nicht. Das Lied dauerte zehn, fünfzehn Minuten, dann verstummten die Stimmen.
    Die zweite Trommel fiel wieder ein, zusammen wurden sie kräftiger, aggressiver. M’bale kam zurück, zusammen mit drei jungen Männern. Sie stampften gebückt hintereinander mit gebeugten Knien einen Tanz mit einer Schrittfolge, die sie nur langsam nach vorne rücken ließ. Wenn sie seitwärts oder vorwärts stampften, klapperten hölzerne Reifen, die sie an den Fußgelenken trugen.
    Sie tanzten eine Jagd. Das konnte jeder verstehen, denn sie sahen sich nach allen Richtungen um, und sie waren unterwegs auf einem komplizierten Pfad. Ihre Gesichter zeigten alle Anzeichen der Furcht. Da verstand ich: Sie stellten das Wild dar, nicht die Jäger. Die Jäger, das waren die Trommeln. Sie hetzten die Tanzenden, waren hinter ihnen her, ließen sie nach rechts, nach links und nach vorn flüchten, aber nicht entkommen, bis sie erschöpft waren und sich ergeben niederkauerten. Sie waren zur Strecke gebracht. Die Jagd war zu Ende.
    Die Pygmäen lachten, begannen wieder zu reden.
    M’bale kam zu uns, auf seiner Stirn standen Schweißtropfen. Wir lobten das Lied und den Tanz.
    »Bon chasse«,

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