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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meinrad Braun
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untereinander aufgeteilt. Makoto, Kiba, Sanjuro und Sumire.« Nach einer Pause: »Ich bin die Einzige, die noch da ist.«
    Ich schwieg und steuerte den Lastwagen weiter durch die Nacht. Ich mochte diese Straße, die eine richtige Straße war und die, das hatte mir Sumire mitgeteilt, auf einer Länge von über vierhundert Kilometern durchgehend asphaltiert sein würde. Wir hatten es geschafft, wir hatten den Kongo verlassen. Bald würden wir in Daressalam sein, am Meer.
    »Wo hast du eigentlich so gut Englisch gelernt?«
    »Ich hatte Glück«, sagte Sumire. »Ich kam über die Grenze nach Sambia. Nachdem das passiert war, mit meiner Hand, erreichte ich noch die Straße. Ich hatte kaum noch Blut. Ich konnte nicht mehr stehen, ich fiel um. Am Straßenrand bin ich liegen geblieben. Es war Nacht, so wie jetzt. Ein Lastwagen kam, er hat mich fast überfahren. Aber der Fahrer hat mich gesehen. Mutter Maria hat ihm gesagt, er soll anhalten. Er hat mich in seinen Laster getragen und mich da oben reingelegt, wo du vorhin warst. Hinter der Grenze hat er mich in einem Hospital abgeliefert, bei den Engländern. Ich bin vier Jahre dort geblieben. Ich habe gelernt, ich wollte wieder was lernen.«
    Sumire rauchte. Der Motor des Lastwagens nagelte, die ausgeschlagenen Lager klopften im Takt, unsere acht Räder rollten auf Asphalt. Auch ich habe Glück, dachte ich.
    »Und ich habe gearbeitet«, sagte Sumire. »Putzen, Verbände wechseln, Kranke versorgen. Der englische Arzt hat mir erzählt, dass Gabriel Kyungu seine Kindersoldaten an die Mai-Mai-Rebellen verkauft hat, als er sie nicht mehr brauchte. Wir haben also mit den Mai Mai zusammen gegen unsere Landsleute aus Katanga gekämpft und wussten es nicht. Das war egal, es war überall gleich.«
    Die Straße führte in die Berge. Dort kamen wir langsamer voran, aber immer noch schneller als im Kongo. Sumire legte sich zum Schlafen in die Koje. Das Fahren bei Nacht war nicht anstrengend, weil es kaum Verkehr gab. Wenn uns jemand entgegenkam, waren es meistens Lastwagen. Sie blendeten ihre Scheinwerfer nicht ab, im Gegenteil, sie veranstalteten schon aus einiger Distanz eine Licht- und Huporgie, bis man aneinander vorbei war. Ich achtete darauf, die richtige Seite zu nehmen, aber auf den letzten fünfzig Metern musste ich die Augen zumachen, damit ich anschließend wieder etwas sehen konnte.
    Hin und wieder kamen wir durch Dörfer, vielleicht waren es auch Städte, ich konnte es nicht unterscheiden. Plötzlich waren Gebäude da, es roch nach Essen, Leute liefen herum, Fetzen von Musik trieben zum Fenster herein, ein paar Jungen rasten mit dem Moped neben uns her, dann war wieder alles weg, und die Scheinwerfer streiften nur das Gestrüpp am Straßenrand. Ich fuhr über Pässe mit Serpentinen, die ich genauso langsam hochkroch, wie es nach der Passhöhe hinunterging. In den Steigungen setzten sich die Nachtgeräusche, die durch das offene Fenster hereinkamen, gegen das Brummen des Dieselmotors durch. Zikaden, Grillen unter der Mondsichel, das immer gleiche Konzert der Wildnis. Im Dunkeln hinter der Straße konnte ich eine Weite ahnen, die mir verschlossen blieb.
    Nach vier Stunden Fahrt hätte ich Sumire wecken sollen, damit sie mich ablöste, aber ich fuhr wie in Trance weiter. Der Lastwagen rollte mit fünfzig Meilen über die schnurgerade Straße, die runden Büsche rutschten einer nach dem anderen ins Scheinwerferlicht. Mir war, als hätte ich das alles schon einmal erlebt. Meine Hände, die sich um das abgegriffene Lenkrad schlossen, den schüttelnden Schalthebel neben meinem rechten Knie, die mit Verpackungsmüll und Zeitschriften ausgestopfte Ablage und das Armaturenbrett, auf dem als einziges Licht im Führerhaus die Tachometerbeleuchtung glomm.
    Ich war nicht auf ihn vorbereitet, ich weiß noch nicht einmal, ob er eine reale Erscheinung war oder ob er gerade durch seine Parallelwelt marschierte, die ich in meinem Dämmerzustand streifte. Jedenfalls tauchte er plötzlich auf im Lichtkegel des Scheinwerfers, am rechten Straßenrand. Nackt, klein und runzlig, einen Fetzen um die Mitte seiner Mumiengestalt gewickelt. Ganz nah. Sein ledriger Rücken, die hervortretenden Wirbel unter der Haut, der kahle Schädel. Ich riss das Lenkrad ein Stück nach links, sonst hätte ich ihn über den Haufen gefahren, im selben Moment drehte er sich um. Ich war bereits an ihm vorbei, der Lastwagen kam unter dem Gewicht der Ladung in ein gefährliches Schaukeln.
    Mein Herz raste. Denn ich hatte sein

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